Urteil in Indonesien Sieg im Kampf um saubere Luft
Jakartas Bürger jubeln über ein wegweisendes Urteil: Ein Gericht hat Indonesiens Regierung bescheinigt, ihre Verantwortung für die extrem belastete Luft in der Hauptstadt vernachlässigt zu haben. Wird sich daran nun etwas ändern?
Es sei eine historische Entscheidung, jubeln die Kläger, eine Weichenstellung für den notorisch verpesteten Megamoloch Jakarta, sowie für ganz Indonesien. Im Juli 2019 waren eine Gruppe Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und einige Nichtregierungsorganisationen vor Gericht gezogen und hatten vom Präsidenten, seiner Regierung und den drei Provinzgouverneuren des Großraums Jakarta bessere Luft verlangt. Sogenannte Bürgerklagen, zumal in Umweltsachen, sind ausgesprochen selten in Indonesien.
Das Urteil wurde gleich achtmal vertagt, doch die Kläger hatten schließlich Erfolg: Nach mehr als zwei Jahren befanden die Richter nun, dass die Beklagten auf allen Regierungsebenen eine Verantwortung für die Qualität der Luft haben und dass sie diese vernachlässigt haben. Gegen Menschenrechte hätten sie damit jedoch nicht verstoßen. Die Regierungen seien verpflichtet, die Qualität der Luft zu kontrollieren, für die Einhaltung der vorgeschriebenen Richtwerte zu sorgen, die Regularien zu verschärfen und Verstöße gegen die Umweltvorschriften zu ahnden.
Der Jubel bei den Klägern und Umweltaktivisten ist groß - nun muss sich zeigen, welche Folgen das Urteil konkret hat.
Schadstoffe aus vielen Quellen
Was selbstverständlich klingt, ist bislang weit von der Realität entfernt. Jakartas Luft ist eine üble Mixtur von Schadstoffen aus vielen Quellen: Allein acht Kohlekraftwerke und Unmengen Industrieanlagen liegen im Umland der Stadt, chronische Staus verursachen Abgase von Millionen Autos und Rollern, wilde Müllverbrennung auf den Straßen ist allgegenwärtig, und Haushalte und Kleinindustrie nutzen Plastik, Autoreifen und Ähnliches als Brennstoff.
Als im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie Städte weltweit Ausgangssperren und Lockdowns verhängten, verbesserte sich überall schlagartig die Luftqualität - nur in Jakarta nicht. Über der Stadt lag weiterhin eine schwere Decke aus toxischen Abgasen.
Leere Straßen während des Lockdowns - doch die Luftqualität besserte sich in Jakarta kaum.
"Es fehlt der politische Wille"
Eine der 32 Klägerinnen, Khalisah Khalid, leidet seit langem unter der Situation. Ihre zehnjährige Tochter habe seit ihrer Geburt Atemwegserkrankungen und Allergien. Khalisa führt dies auf die Luftverschmutzung zurück. Seit gut 15 Jahre hätten sie und andere Aktivisten versucht, die Behörden zum Handeln zu bewegen. "Aber ohne Ergebnis. Unseren Regierungen fehlt einfach der politische Wille, die Bürger vor der Verschmutzung zu schützen", beklagt sie. "Jeden Tag werden die Gesundheitsgefahren für unsere Kinder größer."
Irgendwann habe es ihr gereicht, und sie hätte sich mit einigen Mitstreiterinnen und Mistreitern dazu entschlossen, die nationale und regionale Regierungen zu verklagen. Dabei gehe es ihnen nicht um Entschädigungsgelder, betont Khalisah. Sondern nur darum, klarstellen zu lassen, dass die Regierung gegenüber ihren Bürger verpflichtet ist, für gesunde Luft zu sorgen - und dieser Pflicht nicht nachkommt.
Vor dem Gericht wiesen Aktivisten auf die Folgen der massiven Luftverschmutzung hin - vor allem für Kinder.
Druck aus der Bevölkerung wirkt
Ayu Eza Tiara ist die Anwältin der Kläger, und sie hält die Strategie für richtig: "Wenn ein Thema öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, in die Medien kommt, dann kann die Regierung überraschend schnell aktiv werden", erklärt sie. "Die Regierung hatte nicht auf uns reagiert - bis wir die Klage eingereicht haben."
Das Umweltbewusstsein in Indonesien werde langsam ausgeprägter, gerade bei dem Menschen in Jakarta, meint Ayu. Sie denkt, dass ständiger Druck aus der Bevölkerung die Zuständigen zwingen wird, endlich zu handeln. Erste Anzeichen dafür gibt es schon, denn seit Einreichen der Klage haben einige Behörden angefangen, Regularien zu verschärfen und strikter durchzusetzen. Das Urteil sei ein riesiger Schritt vorwärts, so Ayu, und nicht nur für die Hauptstadt des 270-Millionen-Landes: "Die Gesetze, gegen die hier verstoßen wurde, sind nationales Recht. Damit ist das Urteil für ganz Indonesien von Bedeutung."
Tausende Tote - jährlich
Doch die Probleme des Ballungsraums Jakarta mit seinen fast 30 Millionen Menschen bleiben gigantisch: Anfang Mai befand eine Studie der britischen Beratungsfirma Verisk Maplecroft, dass Jakarta von 576 Städten weltweit am meisten Gefahren durch Umweltfaktoren ausgesetzt sei. Die Studie nannte neben der Bedrohung durch Erdbeben und Überflutungen die "düstere Lage der Luftverschmutzung".
Hunderttausende sterben laut UN in Indonesien jedes Jahr an den Folgen der Verschmutzung, mehr als 7000 davon allein Jakarta, so Greenpeace Indonesien. Hinzu kommen chronische Erkrankungen und Fehlentwicklungen bei Neugeborenen.
Regierungsitz in neuer Retortenhauptstadt
Der indonesische Präsident Joko Widodo hat für die Probleme von Jakarta eine schlichte Lösung. Einen Monat nach Einreichung der Klage verkündete er, dass der Regierungssitz verlegt werde: weg vom verpesteten, unter dem Meeresspiegel versinkenden Jakarta, rein in eine neu zu bauende Retortenhauptstadt auf der vergleichsweise grünen Insel Borneo. Was derweil mit Jakarta und seinen Bürgerinnen und Bürgern geschehen solle, erwähnte er nicht.
Noch können Khalisah Khalid und ihre Mitstreiter wohl nicht aufatmen. Aber einen ersten, wichtigen Sieg haben sie dennoch errungen.