Neue Hauptstadt für Indonesien "Grünste, nachhaltigste Stadt der Welt"
Indonesien bekommt eine neue Hauptstadt: Nusantara. Sie soll die grünste und nachhaltigste Stadt der Welt werden. Doch es gibt auch Zweifel: Die Gefahr für die Umwelt dürfe nicht unterschätzt werden, sagen Bewohner.
Ein blauer Würfel, eine goldene kreisförmige Plakette darauf, eine Warnung: nicht beschädigen, nicht entfernen, sonst 500 Millionen Rupien - also 30.000 Euro - Strafe. Der Titik Nol - übersetzt "Nullpunkt", auf Deutsch wohl Grundstein - für die neue Hauptstadt Indonesiens. Riesige weiße Lettern sind über dem runden Nullpunkt-Platz befestigt: "Titik Nol Nusantara" steht da.
Nusantara soll die neue Hauptstadt heißen - "Archipel" -, wie Indonesien eben ein riesiger Archipel mit 17.000 Inseln ist. Außer dem blauen Würfel und weißer Schrift ist noch nicht viel zu sehen, trotzdem ist der "Nullpunkt" ein beliebtes Fotomotiv für die selfiefreudigen Indonesier, die posierenden Besucher gut bewacht von Militär und Geheimdienst.
Wiederaufforstung und Städtebau
Noch stehen hier im Osten von Kalimantan, wie der indonesische Teil der riesigen Insel Borneo heißt, zahlreiche Bäume, die abgeholzt werden. Rückewagen transportieren Stämme um Stämme ab. Aber es ist kein Regenwald, der weichen muss, sondern Eukalyptusplantagen.
Das große Ziel erklärt Sidik Pramono, der Kommunikationschef für das Hauptstadtprojekt. Die Stadtplanung sehe vor, dass von 256.000 Hektar Land 75 Prozent begrünt werden sollen: "Es geht also gar nicht um Abholzung, sondern im Gegenteil, um die Chance, den tropischen Wald wieder aufzuforsten", sagt er.
Die Idee, die alle Gegner beruhigen soll: Nusantara soll die grünste und nachhaltigste Stadt der Welt werden.
Raus aus dem Moloch Jarkarta
Der Regierungssitz soll heraus aus dem verstopften und versinkenden Moloch Jakarta. Teile der jetzigen Hauptstadt sacken bis zu 25 Zentimeter pro Jahr ab, im sumpfigen Boden und unter eigenem Gewicht.
Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, ist nur nur noch bis 2024 im Amt. Die jahrzehntelange Idee einer neuen Hauptstadt wirklich in die Tat umzusetzen - dessen möchte er sich rühmen können.
Sidik Pramono erzählt, in der Vorbereitungsphase konzentriere man sich jetzt auf die grundlegende Infrastruktur für den logistischen Zugang. Baubeginn für die Bürogebäude im Regierungszentrum solle im August sein. Und man arbeite an einem Staudamm für die Wasserversorgung. Die Wasserversorgung ist besonders wichtig - gerade nach dem Mangel in Jakarta, wo illegale Wasserentnahme dazu führt, dass die Stadt weiter versinkt.
Bauleiterin Irene Lucas steht an der gigantischen Baustelle für den Sepaku-Semoi-Damm. Es wird gebaggert, ausgehoben, befestigt - in strammem Tempo. "Unser Ziel ist, dass die Staumauer bis September fertig ist. Nächstes Jahr September? Dieses Jahr! Verrückt, oder?", fragt sie.
Für die Wasserversorgung wird ein Staudamm gebaut: Der Sepaku Semoi-Damm.
Bäume für die grüne Stadt
Bis Ende 2023 soll der Damm voll sein. In der Zwischenzeit wird nicht weit von der Baustelle gepflanzt, was die Wurzeln hergeben: In der Persemaian Mentawir, der Baumschule von Mentawir. Hoch oben in den grünen Hügeln gelegen, bei angenehmem Klima, wacht Mohammad Yussuf über die künftige Pracht der nachhaltigsten Stadt der Welt.
Yussuf erzählt: "Zwei Millionen Setzlinge werden es in diesem Jahr. Wir züchten sie hier, und dann können sie auf dem Gelände der neuen Hauptstadt ausgepflanzt werden. Es sind lauter Arten, die hier in Kalimantan heimisch sind."
Teilweise können die Bäume bis zu hundert Jahre alt werden; noch sind die künftigen Baumriesen erst kniehoch, noch wird das Gelände für die Baumschule erweitert - um Infrastruktur wie Laboratorien, ein Gebetshaus, Unterkünfte für die Gärtner, damit die benötigten 20 Millionen Jungbäume pro Jahr herangezogen werden können.
Es gibt allerdings schon einen Helikopterlandeplatz. Denn nicht nur Politiker kommen vorbei, um das Projekt voranzutreiben, sondern auch Geldgeber für das Mega-Vorhaben. Im August, erzählt Yussuf, komme Jokowi zum nächsten Trip mit arabischen Besuchern - potenzielle Investoren.
Zwei Millionen Setzlinge werden gezüchtet, die Bäume sollen später auf dem Gelände der neuen Hauptstadt ausgepflanzt werden.
Folgen für die Wildtiere
Teile des Projekts - die grundlegende Infrastruktur etwa - werden aus dem Staatshaushalt finanziert, erklärt Pramono. Aber das sei klar keine Belastung, sondern eine Investition. Und die werde dann genutzt, um Investoren anzulocken. Die Sorge, dass China - wie in vielen anderen Ländern Südostasiens - durch große Anlagen Macht bekommt, wiegelt er ab. Es gebe Rahmenbedingungen, die erfüllt werden müssen.
Für viele ist der Schritt hierher klar eine Investition in die Zukunft, die viel verspricht. Andere äußern sich besorgter. Ibu Renie ist von der Orang Utan Foundation International, eine Stiftung, die seit vielen Jahrzehnten in diesem Teil Borneos arbeitet. Sie meint, die Umsiedlung der Hauptstadt werde sich auf jeden Fall auf die Umwelt auswirken, besonders für Orang Utans und andere Wildtiere:
Sie werden den Wald als ihren Lebensraum verlieren, und der Platz für ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt werden, ihre Futterbäume gehen verloren, sie finden weniger Nahrung.
Denn auch wenn Nusantara eine grüne Stadt wird, wachsen dort nicht die Bäume, die Orang Utans benötigen. Und auch wenn die Planung Korridore und Barrieren vorsieht, ist es schwer, wilden Tieren vorzuschreiben, wie sie sich bewegen sollen. Es sollte also unbedingt Wildtier-Rettungsteams in der neuen Hauptstadt geben, die jederzeit einsatzfähig sind.
Renie sagt: "Denn das bedeutet dieses Konzept der Forest City ja auch. Die Stadt ist mit der Natur verbunden, sie will Tiere und natürliche Ressourcen schützen - darum dürfen Orang Utans und andere Wildtiere zu keiner Zeit gefährdet werden."
Noch eine riesige Baustelle, später soll Nusantara die "Zehnminutenstadt" werden - für eine schnelle Erreichbarkeit.
"Zehnminutenstadt" der kurzen Wege
Forest city, Waldstadt, smart city, grüne Stadt, nachhaltigste Stadt - Nusantara hat viele Titel. Und es gibt noch einen: Ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit ist die Idee der "Zehnminutenstadt", erläutert Dyah Fatma, eine der beratenden Architektinnen in der ersten Planungsphase.
Sie erklärt: "Unser Ziel ist es, dass alle Bewohner ihre wichtigsten Anlaufpunkte innerhalb von fünf bis zehn Minuten erreichen können." Also man soll die Arbeitsstelle, die Schule, den Supermarkt oder den Arzt mit dem Fahrrad oder zu Fuß schnell erreichen können. "Und wir versuchen, die Bebauung dicht genug anzulegen, dass öffentlicher Nahverkehr alles abdeckt."
Fatma gibt sich stolz darauf, an diesem Projekt mitzuwirken. Doch ihr Kollege Tiyok äußert auch Zweifel: "Es ist bereits ein fragiles Ökosystem, wenn man es aus der Umweltperspektive betrachtet; man kann also nicht einfach seine Absicht erklären und los bauen."
Bis 2045 soll Nusantara fertig sein, zwei Millionen Menschen sollen dann eine neue Heimat haben - in der nachhaltigsten Stadt der Welt.
Tiyok sagt, es sei ein Meilenstein-Projekt für Indonesien, der das Land zu Größe oder in den Ruin führen könne. Es könne beweisen, dass Indonesien es mit der Nachhaltigkeit ernst meine. Oder einfach weitermache wie immer. Indonesiens neue Hauptstadt ist eine Chance - und eine Gefahr.