Eine indische Verkäuferin verpackt Mangos in einer Plastiktüte auf einem Markt in Kalkutta.

Volkszählung ab 2026 Indien will Kastenzugehörigkeit abfragen

Stand: 09.06.2025 08:43 Uhr

Indien will ab 2026 in einer Volkszählung die Zahl seiner Einwohner ermitteln. Erstmals seit Kolonialzeiten soll auch abgefragt werden, welcher Kaste die Menschen angehören. Dies könnte gewaltige soziale Folgen nach sich ziehen.

In Neu-Delhi sitzt Balram Yadav jeden Tag am Eingang eines Bürogebäudes. Als Wachmann kontrolliert er, wer hineingeht. Es ist ein ruhiger, unscheinbarer Job in der Großstadt, wo seine Herkunft kaum eine Rolle spielt.

Doch wenn Yadav in sein Heimatdorf im Bundesstaat Uttar Pradesh zurückkehrt, zählt vor allem seine Kaste - und die steht ganz unten in der Hierarchie.

Wenn es ein Fest oder ein Essen gibt, dann gibt es getrennte Reihen für verschiedene Kasten, also die oberen und die unteren. Wir sitzen nicht zusammen, wir essen getrennt. Das wird nicht verschwinden; das ist in den Dörfern tief verwurzelt.
Balram Yadav

Balram gehört zu einer der vielen Kasten, die in Indien als benachteiligt gelten. Schätzungen zufolge machen sie etwa die Hälfte der indischen Bevölkerung aus, doch verlässliche Zahlen fehlen. Genau das ist das Problem. Die indische Regierung weiß nicht, für wen genau sie Sozialpolitik macht. 

Menschen gehen mit Sonnenschirmen durch eine Straße in in Varanasi (Indien).

Wer gehört welcher Kaste an? Das soll bei der Volkszählung unter anderem abgefragt werden.

Letzte umfassende Zählung 1931

Die letzte umfassende Zählung nach Kasten gab es 1931, noch unter britischer Kolonialherrschaft. Seitdem haben sich indische Regierungen davor gedrückt, das Thema wieder anzufassen.

Nun hat die Regierung von Premierminister Narendra Modi dem Druck der Opposition nachgegeben. Das sorgt derzeit für Diskussionen, auch im indischen Fernsehen. Für manche privilegierte Gruppen könnte der Zensus bedeuten, Einfluss und Vorteile zu verlieren.

Die Regierung verteidigt den Schritt. Man wolle damit "die soziale und wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft stärken", so Informationsminister Ashwini Vaishnaw.

Kastensystem prägt weiter den Alltag

Indien mit seinen mehr als 1,4 Milliarden Menschen zeigt sich gern modern, digital und aufstrebend. Und doch prägt das Kastensystem den Alltag vieler Menschen bis heute. Es legt von Geburt an fest, wer dazugehört und wer nicht.

Offiziell ist das System seit Jahrzehnten verboten. Die Verfassung untersagt Diskriminierung und verpflichtet den Staat, für Chancengleichheit zu sorgen.

Deshalb gibt es Quoten: im öffentlichen Dienst, an Universitäten, im Parlament. Doch wie gerecht kann so ein System sein, wenn niemand genau weiß, wie viele Menschen überhaupt betroffen sind?

Dieser Kasten-Zensus wird aufdecken, wer tatsächlich die politische Richtung bestimmt. Nach unserer Einschätzung kontrollieren die oberen Kasten Indien - ihr genauer Anteil ist aber schwer zu beziffern. Das wird nach dem Zensus anders sein. Er wird zeigen, wie hoch der Anteil der Kasten im öffentlichen Dienst ist - etwa in Justiz und anderen Berufen.
Ashok Bharti

Zensus als "Meilenstein" für soziale Gerechtigkeit?

Ashok Bharti gehört zu den Dalits, den sogenannten Unberührbaren. Sie stehen in der sozialen Hierarchie ganz unten. Seit Jahrzehnten kämpft er für soziale Gerechtigkeit. Für Bharti ist der Zensus weit mehr als nur Statistik.

Indien ist eine Kastengesellschaft - die Kaste ist hier Norm und Grundstruktur. Das führt zu Ausgrenzung, Diskriminierung, Benachteiligung sowie Vorstellungen von Über- und Unterlegenheit. Wenn wir soziale Gerechtigkeit wirklich umsetzen wollen, wird dieser Zensus ein Meilenstein sein.
Ashok Bharti

"Nach Kastenzählung profitieren hoffentlich alle"

Doch nicht alle sehen das so. Kritiker warnen, der Zensus könnte die Kastenzugehörigkeiten zementieren und die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen.

Wachmann Balram hofft, dass es nicht bei Zahlen bleibt, sondern sich im Alltag etwas verändert: "Momentan profitieren unter dieser Regierung nur bestimmte Kasten und Gemeinschaften. Aber nach der Kastenzählung werden hoffentlich auch andere davon profitieren - hoffentlich alle."

Je nach Ergebnis könnten neue oder erweiterte Quoten gefordert werden. Es ist absehbar, dass es zu neuen politischen Auseinandersetzungen kommen wird.