Nach Erdrutschen in Südindien "Wohin sollen wir jetzt gehen?"
Es könnte die schlimmste Katastrophe sein, die den südindischen Bundesstaat Kerala je getroffen hat. Am Dienstag war es zu schweren Erdrutschen gekommen. Mittlerweile sind mehr als 200 Todesopfer geborgen worden.
Sie sitzen auf Pritschen, Tischen und auf dem Boden: Familien, die nichts mehr haben außer ihrem Leben. Eine Schule wurde zur Notunterkunft für Hunderte von ihnen. Die 46-jährige Geetha erzählt, ihr Haus sei zerstört. "Ich habe alles verloren. Ich habe nur zwei Söhne, die woanders studieren. Ich bin die einzige, die die Familie ernähren kann. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wie ich die Ausbildung meiner Kinder bezahlen soll? Wie weiterleben, wo und von was, das sind die Fragen, die sich viele hier stellen. Trotzdem sind sie die Glücklichen, denn sie haben überlebt.
Sonia Matthew ist eigentlich Lehrerin, jetzt hilft sie den Erdrutschopfern. Sie sagt, viele von ihnen hätten ihre Verwandten verloren, ihre Kinder. "Jetzt machen sie sich Sorgen, wie sie wieder auf die Beine kommen sollen. Sie müssen in ein paar Tagen zurück, aber wohin. Sie haben kein Zuhause mehr. Das ist das größte Problem, was sie jetzt haben."
Die Schlammlawinen kamen nachts
In der Nacht auf Dienstag löste sich ein Berg praktisch auf, nach Tagen heftigen Regens. Die Katastrophe kam die Hügel herunter - in Form von breiten, braunen Schlammlawinen. Häuser wurden darunter begraben und mit ihnen die Menschen, die darin schliefen. Satish Kumar brauchte nur einen Moment, bis ihm klar wurde, was passiert. "Wir schliefen tief und fest. Gegen 1 Uhr fing unser Haus, fing alles an zu beben. Es gab ein Geräusch, wie eine Explosion." Der Taxifahrer und seine Frau nahmen ihre Kinder und rannten nach draußen.
Erst am Morgen konnten die Rettungsarbeiten anlaufen. Der Dauerregen, der den Hügel aufgeweicht hatte, machte es nun auch den Rettern schwer. Hubschrauber konnten erst nicht landen, die Schlammlawinen und die Fluten hatten die Zufahrtsstraßen zu dem Gebiet überspült, eine wichtige Brücke wurde weggerissen.
Experten: Wetterphänomen La Niña und Klimawandel verantwortlich
Es gab zahllose Verletzte, die Krankenhäuser füllten sich. Aber es wurden auch schon die ersten Toten gefunden, und es war klar, dass unter dem Schlamm der drei größten Erdrutsche noch viele sein werden. Jetzt zum Wochenende hin ist die Zahl der Opfer bei mehr als 200, und noch einmal so viele werden noch immer vermisst.
Die Erdrutsche vom Dienstag könnten die schlimmste Katastrophe sein, die den Bundesstaat Kerala je getroffen haben. 2018 starben bei einem ähnlichen Ereignis 300 Menschen. Indiens Meteorologen machen das Wetterphänomen La Niña für den starken Regen verantwortlich, zusammen mit den Auswirkungen des Klimawandels.
Politische Schuldzuweisungen
In der Hauptstadt Neu-Delhi wurde die Katastrophe schnell politisch. Indiens Innenminister Amit Shah sagte Mitte der Woche im Parlament, es habe eine Frühwarnung für Kerala gegeben. Starkregen sei vorhergesagt worden, schon eine Woche vor den Erdrutschen. Die in Kerala regierenden Kommunisten hätten aber nichts getan, so der Vorwurf. Da mache es sich der Hindunationalist Shah zu einfach, meint Shashi Tharoor von der oppositionellen Kongresspartei. "Es gibt keinen Zweifel an der ökologischen Verletzlichkeit Keralas", so Tharoor. "Und Erdrutsche sind nur ein Symptom für die Verletzlichkeit."
Es sind auch jahrzehntelange Eingriffe des Menschen, die Kerala so verletzlich gemacht haben: die Begradigung von Flüssen, das Abholzen von Wäldern, der Bau von Siedlungen in empfindlichen Gebieten.
Dennoch könne man den Menschen jetzt nicht einfach verbieten, dort zu leben, sagt Tharoor. "Können wir ihnen jetzt sagen: Geht dort nicht hin, lebt dort nicht mehr. Und wenn ja, mit welcher Begründung und was können wir für sie tun? Und wenn der Innenminister sagt, bringt 4.000 Menschen von dort weg. Wohin wegbringen, was sollen sie dort tun, wie sollen sie leben?"
Auch jetzt sind noch die Bagger unterwegs, räumen Trümmer beiseite, Schlamm, Bäume, in dieser Gegend, die gerade noch eine der malerischsten in Südindien war - grün, sanfte Hügel, mit Kardamom- und Teeplantagen.
Rakeeba hat auf einer dieser Teeplantagen gearbeitet. Sie und ihre Familie sind verzweifelt. "Wir wissen nicht, wohin wir jetzt gehen. Diejenigen, die seit unserer Kindheit bei uns waren, sind nicht mehr da. Die Schule, in der wir gelernt haben, gibt es nicht mehr. Ich weiß nicht, wer uns jetzt hilft."