Qualität von Medikamenten Deutsche Kontrolleure fürchten Festnahme in China
Ein großer Teil der Medikamente in Deutschland kommt aus China. Europäische Pharma-Vertreter kontrollieren regelmäßig die Qualität vor Ort. Doch wegen Chinas Anti-Spionage-Gesetz haben viele Angst, festgenommen zu werden.
Wenn es um Spionage geht, geraten in der chinesischen Propaganda schnell Ausländer ins Visier. In einem Internetvideo entpuppt sich ein ausländischer Passant, der nach dem Weg zur U-Bahn fragt, als Spion. Die Botschaft: Chinesische Bürgerinnen und Bürger sollen bei Kontakten mit Ausländern besonders wachsam sein.
Was genau als Spionage gilt in China, ist aber auch ein Jahr nach dem Inkrafttreten des neuen Anti-Spionage-Gesetzes nicht klar. "Die Mehrdeutigkeit von zentralen Begriffen in dem Gesetz macht es für Unternehmen sehr schwer, die möglichen Risiken einzuschätzen", kritisiert Jens Eskelund, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking.
Gefahr für deutsche Prüfer in China?
Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Inspektoren aus Deutschland. Besonders betroffen: Arzneimittelkontrollen in China. Antibiotika beispielsweise kommen größtenteils aus China, müssen also deutschen Qualitätsstandards entsprechen.
Pharmaunternehmen brauchen daher bestimmte Zertifikate, bevor sie Medikamente oder Wirkstoffe aus China nach Deutschland einführen dürfen. Ausgestellt werden diese von deutschen Inspektoren, die bis 2019 regelmäßig nach China reisten.
Doch mehrere Bundesländer - darunter Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz - haben diese Reisen ausgesetzt, erst wegen der Corona-Pandemie, dann auch aus Sorge über das chinesische Anti-Spionage-Gesetz. Die sichere Rückreise der Inspektoren sei nicht gewährleistet, heißt es in den Gesundheitsministerien auf Anfrage.
Rückendeckung bekommen die Länder aus der Industrie. Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin vom Verband Pharma Deutschland, hält das Risiko für Inspektoren derzeit für wenig kalkulierbar.
"Die gehen in die Unternehmen und schauen dort, die machen Notizen, die erfassen Daten und die haben einfach Angst vor Repressalien oder schlimmstenfalls vor Verhaftungen, wenn sie dort hinreisen und die Werke kontrollieren", sagt sie.
Japanischer Prüfer festgenommen
Notizen machen, Daten erfassen - ist das schon Spionage? Das chinesische Gesetz definiert nicht genau, in welchen Fällen Informationsbeschaffung als Spionage ausgelegt werden kann. Deutsche sind zwar bislang in China nicht festgenommen worden, wohl aber im vergangenen Jahr ein Mitarbeiter eines japanischen Arzneimittelherstellers - wegen Spionagevorwürfen.
Doch in Deutschland drohten jetzt wegen abgelaufener Zertifikate Medikamenten-Engpässe, warnt Brakmann: "Insbesondere geht es um Antibiotika, aber auch Psychopharmaka, Anti-Depressiva, Blutdruckmittel, Diabetesmittel und auch Krebsmittel."
Ruf nach Ausnahmeregelungen für Inspektoren
Einige Bundesländer haben sich zwischenzeitlich mit Fernbewertungen beholfen - etwa der Bewertung schriftlicher Unterlagen - das sei aber nicht dauerhaft möglich, heißt es. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagt auf Anfrage, man nehme die Sorgen der Länder ernst und arbeite an einer Gesetzesänderung, die es deutschen Herstellern erlauben würde, über Zertifikate aus Drittstaaten die Qualitätssicherung nachzuweisen.
Aber auch das ist keine Dauerlösung. Es brauche eine politische Lösung, heißt es aus den Ländern. Die Pharmaindustrie wünscht sich im chinesischen Anti-Spionagegesetz Ausnahmeregelungen für Inspektoren - sie sollten quasi wie Diplomaten besonderen Schutz genießen.
Die Europäische Handelskammer fordert insgesamt mehr Rechtssicherheit: "Die chinesische Regierung muss dafür sorgen, dass unabhängige Prüfer die Produktionsabläufe kontrollieren können, um so die Einhaltung chinesischer und internationaler Gesetze zu gewährleisten", sagt Kammer-Chef Eskelund.
China wiegelt ab
Doch dass die chinesische Führung ihr Anti-Spionage-Gesetz ändert oder deutschen Inspektoren Ausnahmeregelungen gewährt, ist derzeit nicht abzusehen. Schon vor einem Jahr, als das neue Gesetz in Kraft trat, wiesen Regierungssprecher Kritik zurück: Jedes Land habe das Recht, die nationale Sicherheit durch innerstaatliche Gesetzgebung zu wahren, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning.
Und auch jetzt heißt es im Außenministerium in Peking auf Anfrage: Das Gesetz ziele nur auf wenige Verhaltensweisen ab. Wer sich an die Gesetze halte, habe nichts zu befürchten. Bloß: Was genau die Gesetze bedeuten, bleibt unklar.