Konfliktregion Bergkarabach Mehr als 50.000 Menschen nach Armenien geflohen
Mehr als 50.000 Menschen sind laut der armenischen Regierung mittlerweile aus Bergkarabach nach Armenien geflohen. Der frühere Regierungschef der Konflikregion, Wardanjan, wurde von aserbaidschanischen Behörden festgenommen.
Mehr als 50.000 Menschen sind inzwischen aus der kaukasischen Konfliktregion Bergkarabach nach Armenien geflohen. Dies teilte die Pressesekretärin des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinjan, Naseli Bagdasarjan, mit. In der Ortschaft Kornidsor sei ein Auffanglager eingerichtet worden.
Die armenische Regierung hat versprochen, allen Flüchtlingen eine Unterkunft zu besorgen. Aserbaidschan hatte vergangene Woche mit kurzen heftigen Angriffen die Regierung der international nicht anerkannten Republik Arzach (Bergkarabach) zur Aufgabe gezwungen und die Region erobert. Seither hat eine Massenflucht der dortigen Bevölkerung eingesetzt. Satellitenaufnahmen zeigen lange Autoschlangen.
Kornidsor liegt in Armenien in der Nähe des Latschin-Korridors, der das armenische Kernland mit dem auf aserbaidschanischem Gebiet liegenden, aber bislang mehrheitlich von Armeniern bewohnten Bergkarabach verbindet. Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, etwa 120.000 Armenier leben dort. Das Gebiet ist seit Jahrzehnten zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umkämpft. Die Armenier dort befürchten Gewalt und Verfolgung nach der Eroberung durch Aserbaidschan.
Früherer Regierungschef festgenommen
Aserbaidschanische Kräfte nahmen den früheren Regierungschef von Bergkarabach, Ruben Wardanjan, an der Grenze zu Armenien fest. Wardanjan sei in die Hauptstadt Baku gebracht worden, wo die Behörden über das weitere Vorgehen gegen ihn entschieden, teilte Aserbaidschans Grenzschutz mit.
Demnach wird Wardanjan die illegale Einreise nach Aserbaidschan vorgeworfen. Ob es weitere Anschuldigungen gegen den 55-Jährigen gibt, ist unbekannt. Wardanjans Ehefrau, Weronika Sonabend, bestätigte die Festnahme. Ihr Mann sei beim Versuch, nach Armenien auszureisen, von den aserbaidschanischen Behörden gefangen gesetzt worden, schrieb sie auf dem Telegram-Kanal ihres Mannes.
Wardanjan, der als Geschäftsmann in Russland zum Milliardär geworden war, war im vergangenen Herbst nach Bergkarabach gezogen und bekleidete dort zwischen November 2022 und Februar 2023 den Posten des Regierungschefs.
Viele Tote und Verletzte nach Explosion
Überschattet wird die Flucht der Armenier zudem durch die Explosion eines Treibstofflagers. Dabei starben mindestens 68 Menschen, 290 wurden verletzt. Die Explosion hatte am Montagabend Menschen getroffen, die ihre Autos für die Flucht von Bergkarabach nach Armenien auftanken wollten. Inzwischen sind nach Angaben aus Armeniens Hauptstadt Eriwan 237 Verletzte nach Armenien gebracht worden, teils mit Hubschraubern, teils mit Krankenwagen.
Es handele sich dabei sowohl um Opfer der Explosion als auch um Opfer des aserbaidschanischen Angriffs, betonte Regierungssprecherin Bagdasarjan. Ihren Worten nach sollen im Tagesverlauf weitere 80 Verletzte nach Armenien gebracht werden. Aserbaidschan hatte auf offizieller Ebene ebenfalls Hilfe für die Verletzten der Treibstofflagerexplosion angeboten, ohne dass eine Reaktion aus Bergkarabach erfolgte.
Zugleich gab Baku die Höhe eigener Verluste beim Militäreinsatz in Bergkarabach bekannt. Demnach sind 192 aserbaidschanische Soldaten gefallen, weitere 511 wurden verletzt.
Baerbock fordert internationale Beobachter
Wegen der katastrophalen humanitären Lage in der Konfliktregion wächst derweil der internationale Druck auf Baku. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Aserbaidschan aufgefordert, internationale Beobachter nach Bergkarabach zu lassen. "Es braucht jetzt Transparenz und die Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft vor Ort."
Baerbock kündigte an, Mittel für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes von zwei auf fünf Millionen Euro zu erhöhen.
US-Außenminister Antony Blinken hatte den Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Aliyev, in einem Telefonat am Dienstag ebenfalls dazu aufgefordert, eine internationale Beobachtermission zuzulassen. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte im Anschluss, dass Aliyev eine Mission akzeptieren würde.