Mahmud Abbas
analyse

Nach Hamas-Angriff auf Israel Warum Abbas unter Druck steht

Stand: 16.10.2023 20:07 Uhr

Antisemitische Äußerungen, kaum Rückhalt und geringe Machtbefugnisse: Es gibt nicht viele, die Palästinenserpräsident Abbas noch eine größere Rolle zutrauen. Das hat viele Gründe.

Noch immer hat sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nicht dazu durchringen können, den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel offiziell zu verurteilen. Das "Unrecht" an den Palästinensern treibe den Konflikt mit Israel zu einer "Explosion", sagte er noch am 7. Oktober zu US-Außenminister Antony Blinken - dem Tag des Angriffs der militant-islamistischen Hamas auf Israel.

Nun zitierte die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur Wafa Abbas mit den Worten, Taten und die Politik der Hamas "repräsentieren nicht das palästinensische Volk". Der Satz soll in einem Telefonat mit Venezuelas Staatspräsidenten Nicolas Maduro gefallen sein. Doch schon ein paar Stunden später war davon keine Rede mehr: Wafa meldet nun stattdessen, Abbas fordere ein Ende der "israelischen Aggression" und Fluchtkorridore. Während des Telefonats seien die "schwierigen Entwicklungen" in den palästinensischen Gebieten diskutiert worden.

USA und EU erwarten ein klares Bekenntnis

Ein offizielles Statement aus dem Amtssitz von Abbas in Ramallah zur Gewalt der Hamas gibt es weiterhin nicht. Offenbar befürchtet man im Umfeld von Abbas, noch mehr an Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung zu verlieren. Dort war in Umfragen der Anteil der Menschen, die Gewalt gegen Israel befürworten, das das Westjordanland völkerrechtswidrig besetzt hat, weiter angestiegen.

Gleichzeitig ist Abbas unter Druck: Viele Staaten, darunter auch die USA und Länder der Europäischen Union, die die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) mit viel Geld am Leben erhalten, erwarten ein klares Bekenntnis gegen den Terror der Hamas, bei dem in Israel mehr als 1.400 Menschen ums Leben gekommen und fast 200 in den Gazastreifen verschleppt worden sind. Doch das gibt es weiterhin nicht.

Begrenzte Befugnisse und antisemitische Äußerungen

Es gibt nicht mehr viele, die Abbas, der im November 88 Jahre alt wird, überhaupt noch eine positive Rolle zutrauen. Seit 2005 ist er Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde. Kurz nach Jassir Arafats Tod war er mit etwas mehr als 62 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Es war zugleich die letzte Präsidentschaftswahl in den Palästinensischen Gebieten. Schon ein Jahr später war die Mehrheit für seine Partei, die Fatah, dahin. Das palästinensische Parlament ist seit Jahren nicht mehr zusammengekommen.

Zudem überzeichnet der Titel "Palästinenserpräsident" die wirklichen Machtbefugnisse von Abbas deutlich. Zwar vertritt er die Palästinenser auf internationaler Bühne, zum Beispiel bei den Vereinten Nationen, wo die Palästinenser Beobachterstatus haben, oder auch bei Staatsbesuchen, allerdings hat er der palästinensischen Sache damit oft keinen Gefallen getan - wie bei seinem vergangenen Staatsbesuch in Deutschland. Im Kanzleramt warf er Israel einen "Holocaust" an den Palästinensern vor.

Doch auch zu Hause fällt Abbas durch antisemitische Äußerungen auf. Vor führenden Mitgliedern der Fatah-Partei sagte er Ende August: "Sie sagen, dass Hitler die Juden getötet hat, weil sie Juden waren, und dass Europa die Juden gehasst hat, weil sie Juden waren." Dies sei falsch. "Die (Europäer) kämpften gegen diese Menschen wegen ihrer Rolle in der Gesellschaft, die mit Wucher, Geld und so weiter zu tun hatte." In einem offenen Brief verurteilten etwa 200 palästinensische Politiker, Intellektuelle und Aktivisten seine Aussagen.

Autonomiebehörde kontrolliert nur geringen Teil

Die Autonomiebehörde, die eigentlich als Beginn eines palästinensischen Staates gedacht war, kontrolliert nur einen geringen Teil des Westjordanlandes. Die im Oslo-Prozess etablierten A-Gebiete, in denen die PA theoretisch die volle Kontrolle hat, machen nur 18 Prozent des Westjordanlandes aus. In den B-Gebieten (ca. 20 Prozent) ist die Autonomiebehörde für die zivile Verwaltung zuständig, während die Israelis die Sicherheit verantworten. Auch über Baugenehmigungen müssen die Israelis mitentscheiden. Die C-Gebiete (ca. 62 Prozent) sind vollständig von Israel kontrolliert.

Karte mit Israel, Libanon, Westjordanland und Gazastreifen

Im Westjordanland - oft auch als West Bank bezeichnet - leben laut Schätzungen etwa drei Millionen Menschen.

Auch Israel hatte in den letzten Jahren großen Anteil daran, dass die PA immer schwächer geworden ist. Angesichts des Plans, den Ausbau der Siedlungen immer weiter voranzutreiben, gab es auf israelischer Seite kein Interesse an einer starken palästinensischen Vertretung. Das könnte sich nun rächen - auf palästinensischer Seite fehlt ein Ansprechpartner, mit dem darüber zu verhandeln wäre, wie Israelis und Palästinenser künftig zusammenleben wollen, wenn der Krieg vorbei ist.

Gegner werfen Abbas vor, Spaltung zu zementieren

Seit die Hamas 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen hat, hat Abbas Autonomiebehörde dort keinen Einfluss mehr. Die immer zahlreicher werdenden Gegner von Abbas werfen ihm vor, die Spaltung der Palästinenser zementiert zu haben. Seine Regierung ist mit den Jahren immer autoritärer geworden und geht gegen ihre Gegner mit Repressionen vor. Teile der Führungsriege um Abbas gelten als korrupt.

Denkbar ist nun allerdings, dass ausgerechnet auf die mit ausländischen Geldern mühsam am Leben erhaltene Autonomiebehörde größere Aufgaben zukommen, nämlich dann, wenn Israel seinen Plan, die Regierung der Hamas im Gazastreifen zu zerschlagen, umsetzt. Bei den Überlegungen über die Zeit nach dem Krieg ist immer wieder auch die Rede davon, dass die PA auch in Gaza die Verwaltung übernehmen könnte. Doch ob das ausgerechnet unter Mahmud Abbas gelingen könnte, ist mehr als fraglich. Seine Autonomiebehörde ist schwach - und nach vielen Jahren ohne Wahlen fehlt ihr auch jegliche Art von demokratischer Legitimierung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 16. Oktober 2023 um 06:00 Uhr.