Der Kanzler in Washington Von Doppelgängern und etwas Liebe
Der Blitzbesuch von Kanzler Scholz dauerte keine 24 Stunden - aber der Terminplan war prall gefüllt und von Appellen zu mehr Ukraine-Hilfen und Diskussionen zum Wirtschaftsstandort Deutschland geprägt. Wie erfolgreich war der Kurztrip?
Am frühen Abend, als es schon allmählich dunkel wird über dem Weißen Haus, steht der Kanzler gegenüber auf dem Lafayette Square und bemüht Superlative. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen? "So eng, so einvernehmlich, so intensiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr", sagt er.
Jahrzehnte? Merkel mit Obama? Offenbar kein Vergleich gegen das Traumtandem Biden und Scholz. So sieht der Kanzler die Dinge. Und es klingt durch, dass der sonst so kühle Hanseat Scholz fast ein bisschen verliebt scheint in diesen US-Präsidenten. Und dass das bitte auch nach den Präsidentschaftswahlen im November unbedingt so weitergehen soll.
Nicht für jeden hat ein amerikanischer Präsident so viel Zeit
Fast zwei Stunden haben die beiden zuvor im Oval Office geredet. Unter vier Augen. Dann mit ihren Delegationen. Ukraine. Nahost. Wirtschaft. Nicht für jeden hat ein amerikanischer Präsident so viel Zeit.
Aber darum war es Scholz vor allem gegangen. So viel Zeit mit dem altehrwürdigen Präsidenten wie eben möglich. Es gibt viel zu regeln und zu besprechen, bevor in den USA spätestens ab April der Wahlkampf voll ausbricht und Land und Politik den Blick überwiegend nach innen richten, Weltkrisen und außenpolitische Baustellen ohne die volle Aufmerksamkeit der USA zurechtkommen müssen.
Scholz wirbt um "unverzichtbare" Zahlungen
Biden jedenfalls hatte Scholz explizit gebeten, vorbeizuschauen. Der Arbeitsbesuch des Kanzlers hatte 20 Stunden vorher mit einem Abendessen in der deutschen Botschaftsresidenz begonnen. Der Kongress hatte da gerade erst 60 Milliarden für die Ukraine blockiert, weil es die Republikaner von Donald Trump so wollten.
Scholz weiß, was ohne das Geld der USA für die Ukraine auf dem Spiel steht. Alles. Stoppt Washington die Zahlungen, ist der Krieg verloren. "Unverzichtbar" sei das Geld, wird der Kanzler später öffentlich dazu sagen.
Auch darum wollte der Kanzler von acht hochrangigen Senatoren am Tisch wissen, wohin die Reise wohl gehen wird. Einige der Republikaner, die gerade erst gegen die 60 Milliarden gestimmt hatten, schienen beim Abendessen mit Scholz vergessen zu haben, warum. Später wird Scholz trotzdem sagen, er sei zuversichtlich, dass die Finanzierung der Ukraine durch die USA am Ende zustande kommt. Es klingt beinahe beschwörend.
Es gab auch leichte Momente
Und ganz nebenbei gibt es sie dann auch noch, die kurzen, unbeschwerten Momente für diesen Bundeskanzler, der in Zeiten von Ukraine-Krieg, Haushaltslöchern und Ampelkrach eigentlich eher wenig zu lachen hat. Da steht dieser Olaf Scholz in der Residenz der Deutschen Botschaft in Washington und macht ein Selfie. Neben ihm der demokratische Senator Chris Coons aus Delaware. "Great to see my Doppelgänger again" lässt Scholz später verbreiten. "Wer ist wer", schreibt Chris Coons, der tatsächlich exakt so aussieht wie der Zwillingsbruder des deutschen Kanzlers. Der doppelte Olaf. Humor in Krisenzeiten.
Während Scholz also in der deutschen Botschaft mit demokratischen und republikanischen Senatoren zu Abend isst und dabei für amerikanische Ukraine-Hilfen wirbt, sehen die Amerikaner im Fernsehen zeitgleich wahlweise ein bizarres Interview des ultrarechten Ex-Fox-Journalisten Tucker Carlson mit dem russischen Präsidenten Putin oder einen US-Präsidenten Biden, der in einer spontanen Pressekonferenz, in der es um seine geistige Leistungsfähigkeit geht, dummerweise den ägyptischen Präsidenten Al-Sisi mit dem mexikanischen Präsidenten verwechselt.
Biden findet deutliche Worte
Ganz schön viel los an diesem Abend in der amerikanischen Hauptstadt. So viel, dass der deutsche Kanzler in der Stadt an diesem Abend allenfalls zur Randnotiz wird. 19 Stunden später sitzt Olaf Scholz dem 81-jährigen Joe Biden im Oval Office gegenüber. Das Feuer im Kamin knistert so laut, dass der amerikanische Präsident bei seiner Begrüßung von Scholz kaum zu hören ist. Freunde? Biden begrüßt Scholz fast väterlich. Lobt Deutschland. Lobt den Kanzler - und trägt am Revers einen kleinen Anstecker mit einer ukrainisch-amerikanischen Fahne.
Es ist sicher kein Zufall. Biden nämlich nutzt den kurzen öffentlichen Auftritt, um unverblümt auszusprechen, was der Kanzler öffentlich nur freundlich als Bitte verpackt hatte: Dass der US-Kongress jetzt die verdammte Pflicht habe, der Ukraine die Hilfsgelder zu geben. Ungeheuerlich sei die Verzögerung, sagt Biden leise. Ein Akt krimineller Ignoranz sei das. Scholz sitzt unbewegt daneben. Wenn er beeindruckt ist, zeigt er es nicht.
Erst, als die amerikanischen Journalisten nach dem Ende des öffentlichen Teils im Oval Office anfangen, dem US-Präsidenten Fragen zuzubrüllen, grinst der Kanzler. Ein solches Geschrei ist er bei Auftritten zuhause im Kanzleramt nicht gewohnt. Es ist der dritte Besuch von Scholz im Oval Office. Aber vielleicht ja auch eine Art Abschied. Biden wollte Scholz sehen.
Vorbereitungen auf das Horrorszenario
Manches lässt sich wohl nur im Vier-Augen-Gespräch besprechen. Möglicherweise auch eine ehrliche Analyse darüber, was passieren könnte, wenn dieser Joe Biden im November die Wahl gegen den Mann verliert, über den Scholz kein Wort verliert: Ex-Präsident Donald Trump. Scholz selbst hat immerhin öffentlich davor gewarnt, den altehrwürdigen Joe Biden abzuschreiben. Biden hält er nach wie vor für fit. Vor allem im Kopf. Ein Mann mit Erfahrung, auch als Wahlkämpfer.
Aber im Kanzleramt bereiten sie sich natürlich auch auf das Horrorfszenario vor. Was passiert mit der Welt, wenn dieser erratische Narzisst Trump wieder Präsident wird? Trump und Scholz? Schon bei Merkel hatten damals alle das Gefühl, größer könnten die Gegensätze nicht sein. Dem Kopfmenschen Scholz aber, dem die öffentliche Pose zuwider ist, dürfte ein Donald Trump noch fremder sein, als es Trump damals der Kanzlerin war.
Trump liefert bereits einen Vorgeschmack
Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, hat Scholz gerade in Washington erlebt. Die Republikaner im Kongress blockieren die 60 Milliarden Dollar schwere Ukraine-Hilfe, auch weil ein Donald Trump, der noch nicht einmal offiziell Präsidentschaftskandidat der Republikaner ist, es so wollte. Da reichen offenbar ein paar Anrufe und Drohungen des ehemaligen Präsidenten, und längst vereinbarte Beschlüsse im Kongress gelten selbst für gestandene republikanische Senatoren nicht mehr.
Was bleibt also am Ende dieses Blitzbesuchs in Washington? Zumindest ein Kanzler, der etwas beruhigter zurück nach Deutschland flog, weil er den US-Präsidenten in allen wichtigen Fragen an seiner Seite weiß. Und obendrein hat er noch ein paar sehr harmonische Stunden im Weißen Haus und bei einem kurzen Ausflug in einen Washingtoner Buchladen verbracht. Am Kabinettstisch im Kanzleramt hat Olaf Scholz mit seinen Ampelministern von FDP und Grünen kommende Woche sicher wieder weniger Freude.