Netanyahu vor dem US-Kongress "Wir werden gewinnen"
Israels Premier Netanyahu hat bei seiner Rede im US-Kapitol versichert, alle Geiseln der militant-islamistischen Hamas befreien zu wollen. Sein Land werde den Krieg gewinnen. Netanyahu forderte: "Amerika und Israel müssen zusammenstehen."
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat bei seiner Rede im US-Kongress eine Verantwortung für die Notlagen der Menschen im Gazastreifen vehement zurückgewiesen. "Wenn es Palästinenser im Gazastreifen gibt, die nicht genug Nahrung bekommen, dann nicht, weil Israel sie blockiert. Es liegt daran, dass die Hamas sie stiehlt", sagte Netanyahu.
Israel habe viel getan, um palästinensische Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen und zu schützen. Die militant-islamistische Hamas hingegen tue alles, was in ihrer Macht stehe, um die Zivilisten in dem abgeriegelten Küstenstreifen in Gefahr zu bringen. Die USA als wichtigster Verbündeter drängen Israel, die humanitäre Hilfe in Gaza zu verstärken und den Schutz der Zivilbevölkerung zu verbessern.
"Amerika und Israel müssen zusammenstehen", sagte Netanyahu unter Applaus bei seiner inzwischen vierten Rede vor dem US-Kongress. Stehe man zusammen, geschehe etwas "sehr Simples", so Netanyahu mit Blick auf den Militäreinsatz seines Landes und die Terrororganisation Hamas. "Wir gewinnen, sie verlieren." Er versicherte: "Wir werden gewinnen."
Relativierung der Opferzahl
Netanyahu wies Vorwürfe zurück, Israel ziele absichtlich auf Zivilisten. "Die israelische Armee hat Millionen von Flugblättern abgeworfen, Millionen von SMS, Hunderttausende Telefongespräche geführt, um Schaden an palästinensischen Zivilisten zu verhindern", sagte der Premier. Gleichzeitig habe die militant-islamistische Hamas "alles in ihrer Macht Stehende getan, um palästinensische Zivilisten in Gefahr zu bringen".
Er sagte zudem, im Gaza-Krieg habe es verhältnismäßig wenige zivile Opfer gegeben, im Vergleich zu Kriegen in Wohngebieten in anderen Ländern. Besonders niedrig seien zivile Verluste in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifen gewesen. Seine Aussage widerspricht den Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums. Diese unterscheiden allerdings nicht zwischen getöteten Zivilisten und Kombattanten.
Der Chefankläger vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Karim Khan, hatte im Mai Haftbefehle gegen Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie drei Anführer der Hamas wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Das Gericht muss über diese Anträge erst entscheiden.
Bogen zu 11. September und Pearl Harbour
In seiner Rede kündigte Netanyahu auch an, "nicht zu ruhen", bis alle verbliebenen Geiseln der militant-islamistischen Hamas zu Hause seien. Während der Ansprache verwies der Politiker auf die Geschichte einer bereits befreiten Frau. Diese saß im Publikum.
Für die Angehörigen der Geiseln dürfte die Rede aber eher eine Enttäuschung gewesen sein. Sie hatten gehofft, der Premier würde eine Waffenruhe ankündigen - im Gegenzug für die Freilassung ihrer Familienmitglieder. Zu den Geiseln gab er nur eine vage Auskunft: Israel sei noch immer dabei, die Freilassung auszuhandeln.
Netanyahu schlug zudem einen Bogen zwischen dem 7. Oktober 2023 - dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel - und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sowie dem 7. Dezember 1941, als japanische Kampfflugzeuge Pearl Harbor angriffen. Daraufhin traten die USA in den Zweiten Weltkrieg ein.
Hamas spricht von Lügen und Verdrehung der Tatsachen
Nach der Rede Netanyahus meldete sich die radikalislamische Hamas zu Wort. Sie sprach von Lügen und Verdrehung von Tatsachen. "Netanyahus Gerede über verstärkte Bemühungen um die Rückkehr der Geiseln ist eine glatte Lüge und führt die israelische, amerikanische und internationale Öffentlichkeit in die Irre", hieß es in einer Stellungnahme.
Er sei derjenige, "der alle Bemühungen zur Beendigung des Krieges und zum Abschluss eines Abkommens" über die Freilassung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen vereitelt habe, teilte die Hamas weiter mit. Und das trotz der Bemühungen der Vermittler und der "Flexibilität", die die Hamas bei den Verhandlungen gezeigt habe.
Auch von Pelosi kommt Kritik
Die demokratische US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi übte Kritik am Auftritt des israelischen Premiers. Dies sei der "bei weitem schlechteste Auftritt eines ausländischen Würdenträgers" gewesen, der das Privileg gehabt habe, vor dem US-Kongress zu reden, schrieb die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses auf der Plattform X.
Netanyahu hatte bei seiner Rede entgegen den Hoffnungen von Angehörigen der 120 noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln keine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln angekündigt. Pelosi schrieb weiter: "Viele von uns, die Israel lieben, verbrachten heute Zeit damit, israelischen Bürgern zuzuhören, deren Familien als Folge des Terroranschlags und der Entführungen der Hamas vom 7. Oktober gelitten haben. Diese Familien fordern ein Waffenstillstandsabkommen, das die Geiseln nach Hause bringt - und wir hoffen, dass der Ministerpräsident seine Zeit damit verbringen wird, dieses Ziel zu erreichen."
Teils gewalttätiger Protest rund um das US-Kapitol
Im Vorfeld und während der Rede demonstrierten zahlreiche Menschen rund um das Parlamentsgebäude. Bei einer propalästinensischen Kundgebung forderten Rednerinnen und Redner die US-Regierung von Joe Biden unter anderem dazu auf, die militärische Hilfe für Israel komplett einzustellen. Sie warfen Israel einen Genozid im Gazastreifen vor und beschuldigten Biden, seine Stellvertreterin Kamala Harris und die Spitzen im US-Parlament, sich daran zu beteiligen. Es wurden palästinensische wie auch israelische Flaggen gezeigt.
Die Kapitolpolizei teilte mit, ganz in der Nähe des Parlamentsgebäudes sei "ein Teil der Menge gewalttätig" geworden. Die Demonstranten seien der Aufforderung, sich von der Polizeilinie zurückzuziehen, nicht gefolgt. "Wir setzen Pfefferspray gegen jeden ein, der versucht, das Gesetz zu brechen und diese Linie zu überschreiten", teilte die Polizei auf X mit.
Mehrere Zuhörer hatten zudem die Rede Netanyahus von der Tribüne des Plenarsaals aus mit Zwischenrufen gestört. Sie seien umgehend abgeführt und festgenommen worden, teilte die Kapitolpolizei mit. Es habe fünf Festnahmen gegeben. "Den Kongress zu stören und in Kongressgebäuden zu demonstrieren, verstößt gegen das Gesetz", hieß es in dem Post.
Biden will Netanyahu am Donnerstag im Weißen Haus empfangen. Bei den Beratungen werde es um die Fortschritte hin zu einer Waffenruhe im Gazastreifen und einer Freilassung der dort festgehaltenen Geiseln gehen, teilte das US-Präsidialamt mit. Mit Vize-Präsidentin Kamala Harris werde sich Netanyahu getrennt treffen.
Mit Informationen von Isabell Karras, ARD-Studio Washington