
Liberaler Wahlsieg in Kanada Selbstbehauptung statt Wechselstimmung
Trotz ihres besten Ergebnisses seit Jahrzehnten haben Kanadas Konservative bitter verloren. Die Liberalen um Mark Carney hingegen profitierten vom "Team Canada"-Patriotismus - ausgelöst durch US-Präsident Trumps Attacken.
Noch nie zuvor wurde eine Wahl in Kanada so sehr von einer Person dominiert, noch dazu einer aus dem Ausland. Ohne US-Präsident Donald Trump hätte es in Kanada nach zehn Jahren Regierung der Liberalen einen Machtwechsel hin zu den Konservativen gegeben. Pierre Poilievre schien noch im Januar gesetzt als nächster Premierminister. Seine Konservative Partei führte in den Umfragen mit mehr als 20 Prozent Vorsprung vor den regierenden Liberalen.
Dass es dann innerhalb von zwei Monaten zu einer dramatischen Umkehr der politischen Stimmung kam, hat zwei Gründe. Der wichtigste: Donald Trump. Seine Strafzölle und seine wiederholten Annexionsgelüste, Kanada zum 51. US-Bundesstaat zu machen, drängten alle anderen Wahlkampfthemen in den Hintergrund. Überall in Kanada regte sich ein "Team Canada"-Patriotismus, den die regierenden Liberalen geschickt nutzten. Die Eishockey-Parole "Elbows up" ("Ellbogen hoch") wurde zum kämpferischen Wahlkampf-Slogan der Liberalen.
Verstörende Attacken auf die freundlichen Nachbarn
Der zweite Grund: die Liberale Partei drängte den unbeliebt gewordenen Justin Trudeau zum Rückzug und machte den erfahrenen Krisenmanager Mark Carney zum Nachfolger. Kein Berufspolitiker, kein feuriger Redner wie Pierre Poilievre, sondern ein nüchtern-sachlicher Bankenmanager, der Kompetenz und Ruhe ausstrahlt. Viele Kanadier rechnen ihm hoch an, dass er sie als Zentralbankchef mit Geschick durch die Finanzkrise 2008 steuerte.
Trumps verstörende Attacken auf die freundlichen Nachbarn im Norden - selbst am Wahltag konnte er sich nicht zurückhalten - sorgten dafür, dass nicht mehr die Wechselstimmung das wichtigste Motiv im Wahlkampf war. Sondern die Frage: Wem trauen wir zu, unser Land selbstbewusst gegenüber Trump zu behaupten? Diese entscheidende Frage haben die Kanadier klar beantwortet: Mark Carney. Auch viele Anhänger der kleineren Parteien - Linkspartei und Grüne - gaben diesmal ihre Stimme dem Premierminister.
Trump hat Poilievre um den Wahlsieg gebracht
Für Pierre Poilievre ist der Wahlausgang in mehrfacher Hinsicht bitter. Obwohl Kanada nach zehn Jahren Trudeau-Regierung wirtschaftlich schwächelt und viele Kanadier über hohe Preise und mangelnden Wohnraum klagen, haben es die Konservativen wieder nicht geschafft. Und das, obwohl sie das beste Wahlergebnis seit 1988 erzielt haben.
Dem Chef der Konservativen kam nach Trudeaus Rückzug das Hauptangriffsziel abhanden. Außerdem fielen ihm seine rhetorischen Anleihen bei Trump auf die Füße. Besonders bitter: Poilievre verlor seinen eigenen Wahlkreis an den Herausforderer der Liberalen und muss nun hoffen, dass ein anderer Konservativer Abgeordneter seinen Sitz für ihn aufgibt.
Man kann den Wahlausgang auf einen kurzen Nenner bringen: Trump hat Poilievre um den Wahlsieg gebracht. Und ohne Trump wäre Carneys Amtszeit eine der kürzesten in der Geschichte Kanadas gewesen. Carney hat seinen Wahlsieg somit ausgerechnet dem Mann zu verdanken, mit dem er jetzt um Kanadas Zukunft ringen muss.