Die EU und die CELAC-Staaten "Ein bisschen Arroganz beiseitelassen"
Die EU droht in Lateinamerika gegenüber China ins Hintertreffen zu geraten. Auf dem Kontinent wundert man sich zusehends über Forderungen und Bedingungen der Europäer. Kann ein Gipfeltreffen in Brüssel neuen Schwung bringen?
Angepeilt ist die größte Freihandelszone der Welt mit mehr als 720 Millionen Menschen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten verhandeln die EU und die Mercosur-Staaten. Seit vier Jahren liegt ein unterschriftsreifes Abkommen vor, das bislang nicht ratifiziert wurde.
"Ich möchte wirklich eine Einigung mit der Europäischen Union erreichen", beteuert der brasilianische Präsident Lula da Silva, "aber das ist nicht möglich. Der letzte Vorschlag der Europäischen Union lässt keine Einigung zu."
Keine schriftliche Festlegung
Brüssel will Agrarprodukte sanktionieren, die auf Flächen erzeugt werden, die nach Abschluss des Abkommens gerodet wurden. Lula da Silva hatte vergangenen Herbst im Wahlkampf mehr Schutz für den Amazonas-Regenwald versprochen. Seit Januar ist er Präsident Brasiliens.
Den Schutz der Wälder schriftlich festzulegen, lehnt er ab. Die Androhung von Importverboten und Strafen seitens der EU findet er ungehörig. "Strategische Partner verhandeln nicht auf der Grundlage von Misstrauen und der Androhung von Sanktionen."
Mercosur-Abkommen als Lackmustest
Eine strategische Partnerschaft - genau das wünscht sich Brüssel mit den Staaten Lateinamerikas. Das Mercosur-Abkommen erscheint dabei wie ein Lackmustest.
Er spreche wöchentlich mit brasilianischen Politikern und Entscheidungsträgern in den anderen Mercosur-Staaten, erklärt der Politikwissenschaftler Oliver Stünkel. Keiner verstehe so recht, was gerade in Europa passiere, wie dort Entscheidungsprozesse funktionieren. "Das ist alles etwas verwirrend. Je länger sich das rauszögert, umso größer wird dann die Ernüchterung sein, wenn es dann doch nicht zu einer Ratifizierung kommt."
Europa droht in Lateinamerika deutlich ins Hintertreffen zu geraten. Der große Konkurrent heißt China. Das Handelsvolumen zwischen dem Reich der Mitte und den Mercosur-Staaten beträgt rund 180 Milliarden Dollar, zwischen Mercosur und den EU-Staaten gut 120 Milliarden Dollar.
Was bringt ein Scheitern?
Wo die EU wegen Menschenrechten und Umweltschutz zögert, schlägt China munter ein. Oliver Stünkel warnt davor, das EU-Mercosur-Abkommen scheitern zu lassen.
"Wir retten keinen Zentimeter Regenwald durch die Nicht-Ratifizierung des Handelsabkommens. Je mehr Lateinamerika eingebunden werden kann durch europäische Standards, desto besser wird das gehen. Denn die Chinesen werden jetzt nicht die Brasilianer unter Druck setzen, um irgendwelche Nachhaltigkeitsprinzipien umzusetzen."
Vorwurf des Protektionismus
Doch es hakt nicht nur beim Thema Umweltschutz. Argentiniens Präsident Alberto Fernandez wirft den EU-Staaten Protektionismus vor allem im Agrarsektor vor und kritisiert weitere Schieflagen im Handel.
Denn Argentinien verfügt über große Vorkommen an Lithium, Gas, Öl und anderen Rohstoffen, auf die Europa durch den Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland dringend angewiesen ist.
Argentinien wolle mehr von seinen Partnern, sagt Präsident Fernandez. Niemand könne die Staaten Lateinamerikas dazu verdammen, Lieferanten von Rohstoffen zu sein, die andere verarbeiten und dann zu überhöhten Preisen zurück verkaufen. Deshalb setze Argentinien auf Freihandel und industrielle Entwicklung.
Von der Leyen verspricht große Investitionen
An diese Erwartung möchte die EU laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anknüpfen. Die Europäische Union sei bereits der größte Investor in der Region, und durch Global Gateway, den internationalen Investitionsplan der EU, werde noch mehr Geld fließen. "Die Europäische Union wird zehn Milliarden Euro in Lateinamerika und der Karibik investieren, und das ist erst der Anfang, denn es wird durch private Investitionen und durch die Beiträge unserer Mitgliedstaaten ergänzt."
Greenpeace warnt vor Klimafolgen
Das EU-Mercosur-Abkommen als Blaupause für eine neue Beziehungsebene zwischen Europa und Lateinamerika? Gesche Jürgens von Greenpeace Deutschland lehnt das entschieden ab.
Denn dadurch würden die Zölle für Pestizide, für Autos mit Verbrennungsmotoren und für Rindfleisch gesenkt. "Das heißt, es fördert Produkte, die klima- und naturschädlich sind. Und das passt überhaupt nicht mehr in unsere Zeit."
"Dann füllen andere die Lücke"
Es geht im Verhältnis EU-Lateinamerika nicht allein um Handel und Wirtschaft. Es geht auch um strategische Partnerschaften und Geopolitik. Das Abkommen solle deshalb auch eine Plattform für Dialog sein, beteuert Kommissionspräsidentin von der Leyen.
Noch deutlicher wurde Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem jüngsten Besuch in Südamerika. Sie hofft, dass das Abkommen zum Nutzen beider Seiten zustande kommt, und wenn nicht, "dann füllen andere die Lücke, wie zum Beispiel die Chinesen, die sich nicht um soziale und Klimastandards kümmern, plus wir haben dann keinen Zugang".
Montevideos Hafen als offenes Tor für China?
Während Brüssel mit den Mercosur-Staaten um das große Abkommen ringt, schließt Peking fleißig bilaterale Verträge mit den Ländern Lateinamerikas. In Uruguay nutzt China heute schon den Hafen von Montevideo als Stützpunkt für seine gigantische Fischfangflotte in Atlantik und Pazifik.
Peking verhandelt intensiv mit Uruguay über ein Freihandelsabkommen. Der Hafen von Montevideo würde zum offenen Tor in Südamerika für den Wirtschaftsgiganten China. Wolle Europa mit Lateinamerika besser zusammenarbeiten, betont Lula, müsse es seine Haltung zu den Ländern des Südens überdenken.
"Es ist wichtig, dass wir ein bisschen Arroganz beiseitelassen und versuchen, mit gesundem Menschenverstand zu verhandeln, das gilt für uns und für sie."