Neues Semester an US-Eliteuni Anti-Israel-Proteste an der Columbia gehen weiter
Im Frühjahr gab es heftige Proteste an der New Yorker Columbia Universität. Mit dem neuen Semester haben auch die propalästinensischen Proteste erneut begonnen. Doch dieses Mal, so hofft die Unileitung, ohne weitere Eskalation.
Den Bürgersteig vor dem gusseisernen Tor hat die New Yorker Polizei mit Absperrgittern geteilt. Rechts ein schmaler Streifen, in dem Studierende an der Einlasskontrolle zum Campus Schlange stehen. Auf der anderen Seite der Absperrung die Aktivisten, die schon seit dem frühen Morgen ihre Endlosschleife drehen.
Picket Line heißt diese uramerikanische Protestform, die auf zarte Gemüter schon etwas Einschüchterndes haben kann. Besonders dann, wenn die Demonstrierenden mit Masken und Kufiya vermummt unentwegt ihre Parolen brüllen: "Intifada-Revolution", "From the river to the sea: Palestine will be free" oder "Stop the Genozide".
Proteste an der Columbia griffen aufs ganze Land über
Zum Semesterstart am Dienstag standen die ersten Kamerateams schon vor den Demonstranten an der Ecke Broadway und 116th St. in Manhattan bereit. Im Frühjahr hatten die propalästinensischen und antiisraelischen Proteste von der Columbia University auf Universitäten im ganzen Land übergegriffen.
Die Bilder von der gewaltsamen Räumung einer Zeltstadt und eines besetzten Gebäudes auf dem Campus gingen um die Welt. Die Unileitung geriet zwischen alle Stühle. Die einen warfen ihr vor, zu wenig für den Schutz jüdischer Studierender zu tun und antisemitische Aktionen zu tolerieren. Andere kritisierten die Verletzung der Meinungsfreiheit. Mitte August warf die glücklose Uni-Präsidentin Minouch Shafik das Handtuch.
Zur Begrüßung des neuen Jahrgangs versprach ihre Nachfolgerin, Katrina Armstrong, es besser zu machen. Die Uni habe den Auftrag, Redefreiheit und offene Debatten zu ermöglichen und zugleich ein Umfeld ohne Belästigung und Diskriminierung zu garantieren.
Pflichtkurse zu Respekt und Meinungsfreiheit
So gibt es für Studienanfänger nun Pflichtkurse zu Respekt und Meinungsfreiheit, Lehrkräfte wurden ermutigt, in ihren Seminaren Raum für Diskussionen in kleinen Gruppen zu schaffen. Bei Störungen will die Unileitung aber auch weiter hart durchgreifen. So gab es auch schon die ersten Festnahmen, als die Statue der "Alma Mater" vor der berühmten Campus-Bibliothek mit roten Farbbeuteln beworfen wurde.
Die "Alma Mater" vor der Bibliothek auf dem Campus der New Yorker Columbia Universität wird nach der Farbattacke mit einem Hochdruckreiniger gereinigt.
Eine Beruhigung der Lage ist genau das, was die Aktivisten auf jeden Fall verhindern wollen. Es gebe Dutzende von Gruppen, die sich nur locker untereinander abstimmen, erzählt Mahmoud, der aus Syrien stammt und seit einem Jahr Ingenieurswissenschaft studiert. "Ich weiß selbst nicht, wo die nächste Mahnwache, Picket Line oder ein spontanes 'Sit In' in einer Vorlesung stattfindet."
Als Palästinenser hat er aus Sicht der Aktivisten eine Autorität, muss sich bei den Protesten aber selbst zurückhalten - aus Sorge, bei einer Suspendierung die Aufenthaltsgenehmigung für die USA zu verlieren.
Forderungen gehen weit auseinander
Die Ziele der Protestierenden sind diffus. Forderungen nach einem Waffenstillstand in Gaza und nach einem Boykott Israels bilden den kleinsten gemeinsamen Nenner. Darüber hinaus wollen nicht wenige, dass Israel komplett von der Landkarte verschwindet und manche träumen gar von einem "queeren Palästina". Linke jüdische Gruppen wie die "Jewish Voices for Peace" dienen als Beleg, dass die lose Koalition nicht antisemitisch sei.
"An kaum einer US-Uni gibt es mehr jüdische Studierende als hier", sagt Joe Hawley, Professor für Literaturwissenschaft, und warnt vor Verallgemeinerungen. "Wir Juden sind keine einheitliche Gruppe, was unser Verhältnis zu Israel und Palästina angeht". Mit beharrlicher Freundlichkeit versucht er, zwischen den Fronten zu vermitteln. Er verteidigt die Protestierenden, spricht selbst von einem "Genozid" in Gaza, fordert aber auch Respekt vor Studierenden, die sich gerade jetzt besonders mit Israel identifizieren.
Beleidigungen, Einschüchterungen, Rempeleien
Alon Levin wird wütend, wenn er solche Appelle zum Dialog hört. Er steht mit seiner schwarzen Kippa in der Schlange am Eingang und zeigt auf die Demonstrierenden. "Die fordern doch unseren Tod. Da gibt es nichts zu diskutieren."
Beleidigungen, Einschüchterungen bis hin zu Rempeleien gehörten für ihn und seine Freunde zum Alltag. Und bei Diskussionen in Seminaren gebe es einen extremen Meinungsdruck der Mehrheit. Da brauche es keine Beschwichtigungen, sondern klare Regeln und harte Strafen.
Wenig Zwischentöne
Andere reagieren eher gelassen. Immerhin galt die Columbia University schon immer als Hochburg von Protesten. Das zeichne eine Demokratie doch aus, meint Andrea Flores, die ihre erste Woche auf dem Campus erlebt. "Ich bin jetzt schon mehrfach an der Picket Line vorbei und es ist alles friedlich."
"Gilt es schon als friedlich, wenn niemand getötet wird?", fragt Stanley Shukhman sarkastisch, der viele Verwandte in Israel hat. Klar sei er auch für Frieden in Gaza, aber hier an der Uni wolle er sich vor allem auf sein Studium konzentrieren. Damit spricht er aus, was auch viele nichtjüdische Studierenden empfinden. Kein Wunder: Der Leistungsdruck ist hoch, und ein Semester an der Columbia kostet rund 45.000 Dollar.
Immerhin: In den ersten Tagen des neuen Semesters scheint die Deeskalationsstrategie der neuen Unileitung einigermaßen zu funktionieren. Allerdings richtet sich der Blick bereits nach vorne. Am 7. Oktober jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Für die Aktivisten bedeutet das Datum dagegen nur den Beginn des "Genozids" im Gaza. Es ist ein Kampf um Deutungshoheit. Zwischentöne haben es da nicht leicht - vor und auf dem hermetisch abgeriegelten Campus der Columbia University.