Reportage

Krieg in Syrien Gefangen im Inferno Aleppo

Stand: 16.07.2016 14:19 Uhr

Die Menschen in Aleppo sind eingekesselt, die letzte Verbindungsstraße nach draußen ist dicht. Wer sich ihr dennoch nähert, gerät ins Schussfeuer. Es droht eine Hungerkatastrophe. Die Vereinten Nationen geben zu: "Wir sind gescheitert".

Es ist eines dieser Bilder, die nie mehr aus dem Kopf gehen: Inmitten heftiger Kämpfe, zwischen völlig zerstörten Häusern, die mal ein Zuhause waren, liegt auf der Straße ein totes Kind. Daneben ein Ball. Beim Spielen erschossen. Eines von so vielen toten Kindern in Aleppo. Die zweitgrößte Stadt Syriens ist zum Schlachtfeld geworden.

"Wir haben kein Wasser mehr, keinen Strom, nichts mehr. Wir sind abgeschnitten. Was wir brauchen, ist keine Waffenruhe. Wir brauchen endlich eine Lösung", erzählt ein Bewohner.

Aufgeteilte Stadt

Aleppo, einst wichtiges Handelszentrum und berühmt für seine historische Altstadt, ist aufgeteilt: Einige Stadtviertel kontrolliert die syrische Armee unter Machthaber Bashar al-Assad, andere Stadtteile werden von unterschiedlichen Rebellengruppen gehalten. Sie liefern sich heftige Gefechte, Russland fliegt Luftangriffe, um nach eigenen Angaben die Terrormiliz "Islamischer Staat" zu treffen.

Zwischen den Fronten sind schätzungsweise bis zu 300.000 Menschen, ein Großteil davon Zivilisten. Sie sind eingekesselt, denn die einzige Verbindungsroute von Aleppo nach draußen, die sogenannte Castello-Straße, ist dicht.

Gefechte rund um Verbindungsstraße

Brennende Tankwagen, meterhohe Flammen: Assads Truppen sind mit ihrem heftigen Feuer so nah an die Castello-Straße herangerückt, dass sie alles beschießen, was sich dort bewegt. Es gibt keine Versorgung mehr für Aleppo - und kein Entkommen für die Zivilisten.

Russische Bomber haben auf der Straße eine Großlieferung Diesel erwischt. Er war für die Generatoren in den Krankenhäusern Aleppos bestimmt, dort sieht die Versorgung katastrophal aus.

"Wir sind gescheitert"

Auch die Vereinten Nationen räumen ein, versagt zu haben: "Wir sind gescheitert, wenn es um medizinische Hilfe geht. Humanitäre Helfer konnten nicht vordringen, es fehlt an allem. Mit das Schlimmste in Syrien ist, dass es keine medizinische Hilfe gibt und dass entgegen jedem Kriegsgesetz humanitäre Einrichtungen immer wieder das Ziel von Angriffen sind - mehr als überall sonst auf der Welt", sagt Syrien-Gesandter Jan Egeland.

Elisabeth Hoff von der Weltgesundheitsorganisation WHO ergänzt: "Das Schlimme ist, dass Verbandsmaterial, Antibiotika und Betäubungsmittel grundsätzlich aus den Hilfskonvois rausgeholt werden. Dabei brauchen die Zivilisten dringend Hilfe. Die Menschen können noch nicht mal in Frieden sterben, weil es keine Schmerzmittel gibt."

Noch gibt es Vorräte - doch wie lange?

Die Versorgung in Aleppo bricht zusammen. Noch gebe es zwar Vorräte wie Mehl, Reis und Nudeln in der belagerten Stadt, sagen einzelne Oppositionelle - aber wie lange reichen die? Die Vereinten Nationen warnen: Es droht eine Hungersnot wie in anderen Städten Syriens.

In der von Regierungstruppen belagerten Stadt Madaya sollten die Rebellen förmlich ausgehungert werden - und die dort lebenden Zivilisten gleich mit. Wo Helfer vordringen konnten, berichten sie von stark unterernährten Kindern, die sich wochenlang nur von Wasser und Gras ernährten. Auch Hunde und Katzen wurden gegessen.

Droht das gleiche in Aleppo? Und wie geht der IS mit der Zivilbevölkerung um? Amnesty International berichtet von dramatischen Kriegsverbrechen auch auf Seiten der Oppositionsgruppen. Fakt ist: Wer bis jetzt nicht geflohen ist, kommt nicht mehr raus aus dem Inferno Aleppo. "Wir hoffen, die Castello-Straße öffnet sich bald wieder. Das ist unser Land, unsere Heimat. Wir werden es nie verlassen", sagt ein Bewohner.

Eltern halten Kindern bei Angriff die Ohren zu

Die Männer geben sich kampfbereit - umringt von kleinen Jungs, die die Kämpfer von morgen sein wollen. Wenn die Streubomben fallen, flüchten sich die Familien in die Keller und fensterlosen Räume der völlig zerschossenen Häuser. Sie beten und halten den Kindern die Ohren zu.

Eine Mutter erzählt, solange es noch ging, gab sie ihren Kindern starken Hustensaft, um sie zu betäuben. Der Hustensaft ist längst aufgebraucht. Ein Mädchen sieht hinaus auf die Straße, wo sie wieder Leichen aus einem bombardierten Haus bergen. "Ich habe vor gar nichts mehr Angst. Wovor sollte ich noch Angst haben?," sagt sie leise. Die Kinder von Aleppo - sie haben den Krieg schon lange verloren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Juli 2016 um 06:25 Uhr.