Nach Verhaftungen in Tunesien Tausende demonstrieren gegen Präsident Saied
Als Reaktion auf zahlreiche Inhaftierungen Oppositioneller haben in der tunesischen Hauptstadt Tausende Menschen protestiert. Gegnerinnen und Gegner des Präsidenten warnten, er wolle die Demokratie abschaffen.
In Tunesien ist es nach einer Welle an Festnahmen von Oppositionellen zur bislang größten Protestkundgebung gegen Präsident Kais Saied gekommen. Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten folgten dem Aufruf der Gewerkschaft UGTT, um gegen Saieds politischen Kurs und die sich verschlechternde Lage im Land zu demonstrieren.
Die Menschen zogen durch das Zentrum der Hauptstadt Tunis und trugen Transparente mit der Aufschrift "Nein zur Ein-Mann-Herrschaft" und skandierten "Freiheit! Beendet den Polizeistaat".
"Wir werden weiterhin für die Freiheiten und Rechte eintreten - koste es, was es wolle. Wir haben keine Angst vor Gefängnissen oder Verhaftungen", rief Gewerkschaftschef Noureddine Taboubi der Menge zu. "Unterdrückung und Tyrannei" werde es in Tunesien nicht geben.
Verhaftungen und Ausweisungen
In den vergangenen Wochen nahm die tunesische Polizei zahlreiche führende Oppositionelle fest, unter ihnen Oppositionspolitiker, Richter, ein Journalist sowie ein Vertreter der Gewerkschaft UGTT. Ihnen werden etwa Korruption und "Verschwörung gegen die Staatssicherheit" vorgeworfen. Human Rights Watch (HRW) kritisierte, es gebe keine stichhaltigen Beweise für die Anschuldigungen.
Tunesien wies kürzlich auch die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, Esther Lynch, aus. Vor wenigen Tagen wurde zudem einem Mitglied einer spanischen Gewerkschaft die Einreise verweigert.
Vorwurf des Staatsstreichs
Seine Kritiker werfen Saied einen Staatsstreich vor. Saied hatte 2021 dem Parlament Kompetenzen entzogen und die Regierung durch von ihm ausgesuchte Minister ersetzt. Der Staatschef führte außerdem eine umstrittene neue Verfassung ein, dank der er auch eigenmächtig Richter ernennen und entlassen darf. Damit hatte er seine Befugnisse deutlich vergrößert, so dass fast alle Macht in seinen Händen liegt.
Saieds Gegner befürchten, er wolle den letzten demokratischen Staat in Nordafrika in eine Autokratie verwandeln und die demokratischen Errungenschaften der Revolution des arabischen Frühlings vom Jahr 2011, der in Tunesien seinen Anfang nahm, zurückschrauben. Trotz neuer Machtfülle bringt Saied das Land nicht voran, seine Beliebtheitswerte sanken Umfragen zufolge zuletzt stark.
Wirtschaftskrise könnte Unmut noch verstärken
Der Chef der Arbeiterpartei, Hamma Hammami, sagte, die Proteste seien die Antwort auf Saieds "schleichende Diktatur". Der Präsident wolle Angst verbreiten - "aber wir haben keine Angst." Der Unmut in der tunesischen Bevölkerung könnte angesichts der Wirtschaftskrise im Land - verbunden mit kräftigen Preissteigerungen und einer Lebensmittelknappheit sowie leeren Staatskassen - weiter wachsen.
Saieds Streit mit der Gewerkschaft UGTT gilt auch als Hauptgrund dafür, dass das nordafrikanische Land bislang noch immer keine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erreicht hat. Tunesiens Führung hofft auf einen Milliardenkredit, um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Die vom IWF im Gegenzug geforderten Reformen lehnt der UGTT jedoch ab, da sie für viele ohnehin unter der Wirtschaftskrise leidenden Tunesierinnen und Tunesier wohl sehr schmerzhaft wären.
Saeid benennt neue Schuldige
Der angeschlagene Präsident hat derweil einen neuen Sündenbock ausgemacht: Vor anderthalb Wochen warf Saied in einer Rede Migranten aus südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Ländern vor, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Es gebe eine "kriminelle Vereinbarung", Tunesiens demografische Zusammensetzung ändern zu wollen. Das Land drohe ein rein afrikanisches zu werden und seine muslimische und arabische Identität zu verlieren.
Kritiker werfen Saied vor, von anderen Problemen ablenken zu wollen. Trotzdem nehmen seitdem Anfeindungen und rassistische Angriffe zu, Sicherheitskräfte haben Hunderte schwarze Menschen festgenommen, um zu kontrollieren, ob sie sich legal im Land aufhalten.
Betroffene etwa aus Elfenbeinküste, dem Kongo oder Guinea fühlen sich nicht mehr sicher und wollen das Land verlassen. Es mehren sich zudem Berichte, dass Jobs und Wohnungen gekündigt werden.