Tod von 21 Jugendlichen Mehr als Südafrikas "Taverne des Todes"
Der Tod von 21 Jugendlichen in einer Taverne im südafrikanischen East London hat ein Schlaglicht auf die Lage der Jugend im Land geworfen. Heute werden die Opfer beigesetzt - in die Trauer mischen sich Wut und Vorwürfe.
Es hätte ein rauschendes Fest werden können. Hunderte von Jugendlichen hatten sich am Abend des 25. Juni vor einer Taverne in der südafrikanischen Stadt East London eingefunden. Gefeiert wurde der Ferienbeginn, gefeiert wurde ein stadtbekannter DJ, der an diesem Tag Geburtstag hatte.
Dann lief die Feier aus dem Ruder. Am Ende lagen in der "Enyobeni"-Taverne 21 tote junge Menschen, gestorben an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
Die Tragödie hat in Südafrika eine heftige Debatte über die aussichtslose Lage vieler Jugendlicher im Land ausgelöst. Denn die Toten gehörten alle der perspektivlosen armen Bevölkerung des Landes an.
Die "Taverne des Todes"
"Shebeens" heißen sie im südlichen Afrika, die Bars und Kneipen in den Townships, manchmal auch Tavernen genannt, oft illegal betrieben. Der Besitzer der "Enyobeni"-Taverne hatte eine Lizenz, aber Alkohol durfte nur bis Mitternacht ausgeschenkt werden, und Minderjährige durften sich gar nicht im Inneren der Taverne aufhalten. Kurz nach Mitternacht ging der Besitzer nach Hause, offenbar sind danach einige der Türsteher mit Pfefferspray auf die Jugendlichen losgegangen, eine durchaus übliche Praxis in "Shebeens", überall im Land.
Schließlich wurde die Taverne danach verschlossen, es gibt nur eine Tür, die Fenster sind vergittert. Die 17-jährige Inkosi Maselikati sagte, sie sei kurzzeitig ohnmächtig geworden, dann aber wieder zu sich gekommen, weil andere Menschen über sie hinweg trampelten. Sie hielt zwei Freundinnen im Arm, bis diese starben. Auch sie waren 17 Jahre alt.
Ein anderer Augenzeuge sagte, er habe seinen Bruder aus dem Gebäude holen wollen, die Tür sei aber verschlossen gewesen. Zusammen mit anderen habe er sie eingedrückt und seinen bewusstlosen Bruder herausgeholt. Überall hätten Leichen gelegen.
Woher das Kohlenmonoxid kam, das in allen 21 Leichen identifiziert wurde, ist noch nicht geklärt. Vermutet wird ein defekter Generator.
Mit verrammelten Türen wurde die "Enyobeni"-Taverne zur tödlichen Falle für 21 Jugendliche. Darin zeigt sich auch Staatsversagen, meinen viele Südafrikaner.
Wütende Schuldzuweisungen
Seitdem demonstrieren jeden Tag viele Menschen vor der Taverne. Sie weinen, sie schreien, manche werden ohnmächtig. Sie beschuldigen den Besitzer, immer schon erlaubt zu haben, dass sich Minderjährige in seiner Bar aufhielten. Auch habe er ihnen Alkohol ausgeschenkt.
Andere halten diesen Kritikern Naivität vor. Im ganzen Land würde dies passieren, niemand kontrolliere die Einhaltung der Vorschriften. Landesweit hätten Jugendliche keine andere Möglichkeit, sich zu vergnügen als in solchen "Shebeens".
Kein Platz außer "Sheebeens"
Und in der Tat, im Stadtteil Scenery Park, in dem die "Enyobeni"-Taverne liegt, gibt es keinen einzigen Sportplatz, keinen einzigen Jugendclub. Schuld, so sagen diese Menschen, sei der Staat. Der sorge sich nicht im Geringsten um die Jugend des Landes, er lasse sie allein, er lasse sie im Stich.
Ein Anwohner, Ondela Sokomani, sagt, er vertraue der Polizei nicht. "Die Polizisten weigern sich doch regelmäßig, Beschwerden aufzunehmen. Sie machen nichts!"
Die katholische Kirche Südafrikas nutzte die Tragödie zu einem Rundumschlag gegen die Regierung. Nach 28 Jahren an der Macht sei die Regierungspartei ANC am Ende. "Es mehren sich die Zeichen, dass unsere Regierung zusehends bei ihrem Auftrag versagt; dass bei ihr die Luft raus ist", heißt es in einer Erklärung.
Die Regierenden seien mit internen Machtkämpfen beschäftigt, und nicht mehr interessiert, das Schicksal der Nation zu lenken und zu kontrollieren. Die Fähigkeit von Polizei, Post und Bahn, ihre Aufgaben zu erfüllen, sei "mangelhaft bis nichtexistierend". Es sei kein Wunder, dass vor allem die jungen Südafrikaner das Vertrauen in den Staat, und auch in die Demokratie, verloren hätten.
Arbeitslosigkeit und Armut
Offiziellen Angaben zufolge sind knapp 35 Prozent der Südafrikaner arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei über 63 Prozent. In den Medien wird immer wieder spekuliert, es könnten auch über 80 Prozent sein, und keine Besserung in Sicht.
Das Bildungssystem liegt am Boden, nur jede fünfte Schule in Südafrika bietet einen im internationalen Vergleich akzeptablen Bildungsstandard an. In Tausenden von Schulen gibt es immer noch nur Plumpsklos, immer wieder kommt es vor, dass Erst- oder Zweitklässler hineinfallen und ertrinken. Hunderte von Schulen haben keine Wasserversorgung.
Es fehlen Lehrmittel, es fehlen motivierte Lehrer. Nur sechs von hundert südafrikanischen Kindern beenden ihre Ausbildung, in den vergangenen 20 Jahren sind die Zahlen immer weiter bis auf dieses Niveau gefallen. Die Ungleichheit auch im Bildungswesen ist größer geworden. Ein Bruchteil der Schulkinder empfängt eine Schulbildung auf Weltklasse-Niveau, die große Mehrheit erhält - nichts.
Alltägliche Gewalt
Zuhause ergeht es dieser großen Mehrheit nicht besser. Die Townships sind voller Gewalt, jeden Tag werden landesweit durchschnittlich 67 Morde begangen, die meisten Opfer sind jung, männlich und schwarz. Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch sind an der Tagesordnung.
Die arme Bevölkerung leidet in weitaus größerem Maß unter Krankheiten als die kleine Minderheit. Infektionen, geschwächte Immunsysteme, und immer noch die HIV-/AIDS-Epidemie.
Und dann die materielle Armut: Zwei Drittel der rund 20 Millionen 15- bis 24-Jährigen leben unterhalb der Armutsgrenze, mit einem monatlichen Einkommen von unter 50 Euro. In den Blechhütten gibt es oft keinen Strom, kein fließend Wasser, keine vernünftigen sanitären Einrichtungen.
Aus solchen Gegenden kamen die Toten der "Enyobeni"-Taverne. Heute werden sie beerdigt, Präsident Cyril Ramaphosa hat sein Kommen angekündigt. "Enyobeni" bedeutet in der Sprache der Xhosa, die hier an der Südspitze des afrikanischen Kontinents leben, "Der Ort, an dem man gewesen sein muss". Für 21 junge Menschen war es der letzte Ort, an dem sie geatmet haben.