Drohender Völkermord im Sudan "Zivilisten als Zielscheibe"
Die UN sprechen von der größten Flüchtlingskrise der Welt, die WHO befürchtet eine Hungerkatastrophe: Die Lage im Sudan droht außer Kontrolle zu geraten. Besonders schlimm ist sie in Darfur im Westen des Landes.
Yasmin liegt auf dem Schoß ihrer Tante, Schweißperlen rinnen dem kleinen Mädchen über die Wange - hier in der sengenden Hitze eines Flüchtlingslagers im Tschad. Bilder der Nachrichtenagentur Reuters zeigen den Alptraum, den die gerade mal Vierjährige hinter sich hat: Eine tiefe Narbe zieht sich ihren Oberschenkel entlang. Sie wird die Kleine ihr Leben lang an ihre Mutter erinnern.
"Die Kugel hat erst Yasmin getroffen", erzählt die Tante. "Es war ein Durchschuss, die Kugel trat wieder aus und traf dann ihre Mutter. Die war im achten Monat schwanger. Die Mutter starb, ohne dass jemand sie begraben konnte."
Die schwerverletzte Yasmin wurde von den Milizen zurückgelassen, um zu sterben, doch andere Flüchtlinge fanden das kleine Mädchen auf der Straße und brachten sie über die Grenze in den Tschad, in Sicherheit.
"Sie brachten sie auf einem Karren, sie hatte furchtbare Schmerzen." Das Kind sei ins Krankenhaus gekommen, dann in eine andere Stadt verlegt worden. "Danach ging es ihr besser. Aber ihr Bein tut immer noch weh und oft schreit sie die ganze Nacht."
"Größte Flüchtlingskrise der Welt"
Yasmin stammt aus Darfur, einer Region im Westen des Sudan, in dem seit mehr als einem Jahr ein furchtbarer Bürgerkrieg tobt. Zwei Generäle streiten um die Macht und stürzen dabei ein ganzes Land ins Chaos. Mindestens 16.000 Menschen wurden getötet, Zehntausende verletzt. Rund neun Millionen Menschen sind auf der Flucht - also so viele wie die Einwohner von Berlin, Hamburg, München und Köln zusammen.
Die Vereinten Nationen sprechen von der größten Flüchtlingskrise der Welt. Am dramatischsten ist die Lage in Darfur, wo alte ethnische Konflikte wieder aufgebrochen sind - es gibt Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UN-Beauftragte zur Verhinderung von Völkermord, Alice Wairimu Nderitu, warnte vor dem Weltsicherheitsrat vor einem drohenden Völkermord:
Die aktuelle Situation weist alle Merkmale eines drohenden Völkermords auf, mit deutlichen Hinweisen, dass diese Verbrechen teilweise bereits begangen wurden. Zivilisten werden aufgrund ihrer Herkunft zur Zielscheibe. In Darfur werden Zivilisten wegen ihrer Hautfarbe getötet, wegen ihrer Ethnie, weil sie sind, wer sie sind.
Beobachter befürchten Blutbad
Aktuell stehen die Truppen des Milizenführers Mohammad Hamdan Dagalo, genannte Hemeti, die sogenannten Rapid Support Forces, vor der Großstadt Al-Faschir in der Region Darfur, etwa 800 Kilometer westlich der Hauptstadt Khartum. Beobachter befürchten ein Blutbad, die Einwohner sind gefangen zwischen den Fronten.
"Al-Faschir ist unter Belagerung", so der sudanesische Beobachter Shawgi Abdel Azim. "Keine humanitäre Hilfe, kein Essen kommt rein, bis zu zwei Millionen Menschen sitzen dort fest und jetzt hagelt es Bomben und Raketen auf sie - und wenn die Stadt gestürmt wird, werden viele sterben."
Das UN-Hochkommissariat warne beide Kommandeure, so die Sprecherin Ravina Shamdasani. "Kämpfe in Al-Faschir hätten katastrophale Folgen für vielen Zivilisten, die dort eingeschlossen sind und vor einer Hungersnot stehen - es verschlimmert den Konflikt mit desaströsen humanitären Konsequenzen."
WHO warnt vor Hungerkatastrophe
Zu der Gewalt kommt der Hunger: Mehr als ein Drittel der Menschen in der Hauptstadt Khartum und in der Region Darfur litten bereits unter akutem Hunger, so die Weltgesundheitsorganisation WHO. Rund 25 Millionen Menschen in der Region seien vom Hunger bedroht.
"Die Situation ist dramatisch", so bereits vor einigen Wochen Cindy McCain, Exekutiv-Direktorin des UN-Welternährungsprogramms, im Interview mit der ARD. "Ich appelliere an die internationale Gemeinschaft, die Menschen im Sudan nicht zu vergessen. Es ist bereits ein vergessener Konflikt. Und wenn wir nichts tun, erleben wir im Sudan die größte Hungersnot der Welt."
Die kleine Yasmin hat es geschafft - sie und ihre Verwandten sind in Sicherheit, im Nachbarland Tschad. Doch wie es für sie und die Millionen anderen Vertriebenen aus dem Sudan weitergehen soll, weiß niemand.