Kolonialverbrechen in Namibia Gedenken auf der "Insel des Todes"
Die Aufstände gegen die deutschen Kolonialherren wurden in Deutsch-Südwestafrika brutal niedergeschlagen. Jetzt erst können die Nachfahren der Opfer gedenken. Im Süden Namibias wurde ein Mahnmal enthüllt.
Im Jahr 1904 erhob sich das Volk der Herero im damals sogenannten Deutsch-Südwestafrika gegen die deutschen Kolonialherren. Als die Deutschen den Aufstand brutal niederschlugen, folgte das Volk der Nama. Auch ihr Aufstand wurde niedergeschlagen. Die Überlebenden beider Völker wurden in Internierungslager gepfercht: Männer, Frauen und Kinder.
Das schlimmste dieser Lager befand sich im Süden des sogenannten Schutzgebiets - neben der Stadt Lüderitz. Dort wurden die Menschen schlimmer behandelt als Tiere. Auf der Halbinsel "Shark Island", auch genannt die "Insel des Todes", starben zwischen 1000 und 3000 Menschen, die genaue Zahl wurde nie bekannt.
Umschlossen vom Atlantik
Es sah nicht aus wie ein Konzentrationslager, wie die Welt sie voller Entsetzen 40 Jahre später sehen würde. Es gab keine Mauern, keine Stacheldrahtzäune, keine Gaskammern. "Shark Island" war und ist ein rauer Ort, übersät mit grauen Steinen, auf drei Seiten umschlossen vom Atlantik, in dem damals Haie waren. Die Menschen vegetierten auf den Steinen dahin, ohne Decken, ohne Schutz vor der Sonne, ohne Schutz vor der feuchten Kälte.
Innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Ankunft waren 80 Prozent aller Häftlinge tot. Ihre Leichen wurden ins Wasser geworfen und dort von den Haien zerrissen. "Der Todesengel war mit brutaler Gewalt auf sie herabgestürzt", sagt Paul John Isaak, spiritueller Anführer der Nama. "Die Überlebenden sahen wie verhungert aus, ihre Körper waren nur noch Haut und Knochen. Sie sahen aus wie Besenstiele, die Knochen waren so dünn, dass man durch sie hindurchschauen konnte." Selbst die deutschen Besatzer nannten diese Stätten der Hölle "Konzentrationslager".
"Shark Island": Auf den grauen Steinen waren die Menschen der Hitze und Kälte schutzlos ausgeliefert.
Sie hatten ihn einfach von der britischen Kolonialmacht übernommen, die wenige Jahre zuvor im benachbarten Südafrika die ersten Vernichtungslager errichtet hatten, und sie "concentration camps" nannten.
Im britisch-burischen Krieg Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die britischen Kolonialherren beschlossen, das Volk der Buren vollständig auszulöschen, was ihnen nicht gelang. Ihre deutschen Nachbarn in Deutsch-Südwestafrika wollten mit den Herero und den Nama genau das Gleiche tun, auch ihnen gelang es nicht.
"Wissenschaftliche" Experimente
Die Urgroßmutter von Sima Luipert-Goeieman war auf der "Insel des Todes" inhaftiert. Sie musste die Haut und die Haare von getöteten Häftlingen abkratzen, auch von Köpfen ihrer Familienmitglieder. Die Schädel wurden ins Kaiserreich gebracht, wo sogenannte Rassenkundler ihre Maße nahmen.
Ziel dieser obskuren "wissenschaftlichen" Tätigkeit war, zu beweisen, dass die Schwarzen auf dem afrikanischen Kontinent minderwertige Wesen wären, näher den Affen, als den weißen Europäern. "Sie haben meine Vorfahren nicht wie Menschen behandelt, auch nicht die Frauen und die Kinder", sagt Sima Luipert-Goeieman.
Es war Teil der Strategie der Deutschen, uns zu terrorisieren, unseren Lebenswillen zu brechen. Jahrzehnte später sollte eine nächste Generation von Deutschen in Auschwitz und anderswo dieses schrecklich perfektionieren.
Im Gedenken an ihr Leid werden die Geister der Vorfahren angerufen.
Deutschland und der Begriff "Völkermord"
1915 wurden die Deutschen von britischen und südafrikanischen Truppen aus Deutsch-Südwestafrika vertrieben. Zunächst übernahm das Vereinigte Königreich das Gebiet, später die südafrikanische Apartheid-Regierung. Erst 1990 wurde Namibia unabhängig. Und immer noch kümmerte sich niemand um die Herero und die Nama, die immer lauter Forderungen stellten. Sie wollten finanzielle Entschädigung, vor allem aber eine Aufarbeitung ihrer Geschichte. Niemand hörte zu.
2002 schließlich sagte die deutsche Entwicklungsministerin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, zum ersten Mal, dass es sich bei den Ereignissen von 1904 bis 1908 um Völkermord gehandelt habe. 2015 erst erkannte die deutsche Regierung offiziell den Völkermord an, allerdings nicht im völkerrechtlichen Sinn. Das hätte völkerrechtlich bedeutet, dass hohe Reparationszahlungen gefordert hätten werden können. Stattdessen wurde mit der Wiederauflage einer Versöhnungsinitiative begonnen, bei der die deutsche Bundesregierung 1,1 Milliarden Euro anbot, über 30 Jahre verteilt. Diese Initiative hatte es schon einmal gegeben.
"Von diesem Geld haben wir nie etwas gesehen", sagen die Herero und Nama. Das habe alles die Regierung eingesteckt, die von einer anderen Volksgruppe, den Ovambo, dominiert wird. Die Ratifizierung des zweiten Versöhnungsabkommens scheiterte im Juni 2021 am Widerstand der Herero und der Nama. Sie fordern neue Verhandlungen. Berlin lehnt dies aber ab.
Die Herero-Frauen legen großen Wert auf ihre traditionelle Tracht. Die Rückbesinnung auf diese Kleidung hängt Forschern zufolge auch mit dem Völkermord zusammen.
Gedenkstein - und dann Schlussstrich?
Vor zehn Jahren erst wurde der erste Gedenkstein in der namibischen Hauptstadt Windhoek errichtet. Der zweite Gedenkstein wurde am Samstag auf "Shark Island" enthüllt. Sima Luipert-Goeieman und Paul John Isaak sind erleichtert. Endlich habe man auch hier die Gelegenheit, an einem Ort zu trauern, das Blut der Getöteten zu beweinen. Aber es müsse weitergehen, der Völkermord müsse auch wissenschaftlich besser aufgearbeitet werden. Und 1,1 Milliarden Euro Entschädigung seien zu wenig. Es dürfe kein Schlussstrich gezogen werden.
Es ist zweifelhaft, ob sie mit ihren Forderungen Erfolg haben werden. Es sieht so aus, als ob der Leidensweg zweier gedemütigter Völker noch lange weitergehen wird.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Namibia sei seit 1994 unabhängig. Das Land ist allerdings bereits seit 1990 unabhängig.