Islamisten in Mosambik Krieg gegen die eigene Bevölkerung
Selbsternannte Gotteskrieger terrorisieren eine Provinz in Mosambik, brennen ganze Dörfer nieder. Sie berufen sich auf die "IS"-Miliz. Die Armee scheint hilflos, Nachbarstaaten werden unruhig.
Fürs Erste ist sie dem Schrecken in Mosambiks Norden entkommen. Clementina Leonardo konnte ihr Leben retten - und sonst nur, was sie am Leib trug. Leonardo hat in Mocimboa da Praia als Lehrerin gearbeitet. Als die islamistischen Terroristen den Ort angriffen, floh sie mit ihren drei Kindern in den Busch. Erst Stunden später wagte sie sich zurück nach Hause. Sie fand ihr Haus zerstört vor - und entschied sich, in die fast 300 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Pemba zu fliehen. "Selbst auf der Flucht wurden wir noch angegriffen", berichtet sie. "Ich habe viele sterben sehen."
Jetzt lebt sie in einem der Flüchtlingslager vor den Toren der Stadt. Etwa 40.000 Menschen haben sich nach Pemba in Sicherheit gebracht. Zehn Personen müssen sich ein Zelt teilen. Sie alle haben Ähnliches erlebt wie Leonardo. Mosambiks nördlichste Provinz Cabo Delgado ist zum südlichsten Brennpunkt islamistischen Terrors geworden.
Ganze Dörfer in Cabo Delgado werden ausgelöscht
Selbsternannte islamische Gotteskrieger führen einen Kampf, der sich auf den ersten Blick vor allem gegen die eigene Bevölkerung richtet. Dörfer werden niedergebrannt, Menschen auf grausame Weise getötet. Auch von Enthauptungen wird berichtet.
Zu den ersten Attacken kam es 2017. Seitdem hat sich der Konflikt immer weiter verschärft, vor allem in den vergangenen drei Monaten brachten die Terroristen immer größere Landstriche unter ihre Kontrolle. 1500 Todesopfer gibt es mittlerweile laut Schätzungen, mehr als 300.000 Menschen seien aus der Region geflohen. "Ahlu Sunnah Wa-Jama" nennen sich die Terroristen, manchmal auch "Al Shabaab" wie in Somalia. Man schätzt sie auf insgesamt 2000 Leute, vermutlich verteilt auf viele kleine Zellen.
Auch Ärzte ohne Grenzen zog sich nach Pemba zurück
Mosambik hat eine mehrheitlich christliche Bevölkerung, doch in Cabo Delgado leben vor allem Muslime. "Die Gewalt der Aufständischen richtet sich auch gegen ihre Glaubensbrüder und -schwestern", erklärt Caroline Gaudron Rose, die bis vor kurzem für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Cabo Delgado war. "Sie plündern die Dörfer, um so ihre Kämpfer zu ernähren. Oder sie greifen ein bestimmtes Dorf an, weil sie annehmen, dass die Bewohner sie nicht unterstützen."
Manchmal aber spielten auch ganz unpolitische Motive eine Rolle: "Ein junger Mann hat plötzlich eine Waffe in der Hand und erinnert sich daran, dass der Nachbar ihm neulich die Freundin ausgespannt hat. Dann ist dieser Nachbar nicht mehr sicher." Die Krankenstation von "Ärzte ohne Grenzen" in Macomia wurde von den Terroristen angegriffen und niedergebrannt. Die Hilfsorganisation hat sich, wie viele andere, vorerst in die Provinzhauptstadt Pemba zurückgezogen.
Zerstörtes Haus in dem Dorf Aldeia da Paz außerhalb von Macomia.
Experten halten IS-Verbindungen für unwahrscheinlich
Über die politischen Motive der Islamisten und die Verbindungen der Bewegung sind sich Experten uneinig. Erst zwei Jahre nach den ersten Attacken bekannte sich der sogenannte "Islamische Staat" zu den Anschlägen. Seitdem tragen die Terroristen in Cabo Delgado immer wieder die schwarz-weiße Flagge des IS. "Der IS behauptet nur, dahinter zu stecken", vermutet zum Beispiel die Terrorismus-Expertin Jasmine Opperman vom Terrorism Research and Analysis Consortium. "Tatsächlich ist das ein lokales Phänomen."
Auch die Frage, ob es tatsächlich vorrangig um die Errichtung eines "Kalifats" geht, ist unter Experten umstritten. "Die Nord-Provinz wird von der mosambikanischen Regierung wie Dreck behandelt, und das schon seit mehr als zehn Jahren", erklärt John Stupart, ein Sicherheits-Experte der "African Defence Review". "Es gibt dort große Unzufriedenheit und große Armut. Wenn die Regierung es den Aufständischen schwer machen will, dann muss sie der Region größeres politisches Gewicht geben. Aber das scheint sie nicht vorzuhaben."
Die Eroberung von Mocimboa da Praia - ein Coup
An einem empfindlichen Nerv trafen die Terroristen die Regierung im August, als sie zum ersten Mal eine größere Stadt unter ihre Kontrolle brachten: die Hafenstadt Mocimboa da Praia. Damit haben die Islamisten ein milliardenschweres Zukunftsprojekt Mosambiks vorerst zum Stillstand gebracht: Von Mocimboa da Praia aus wollen internationale Mineralölkonzerne ein riesiges unterseeisches Gasfeld erschließen. Das Projekt könnte Mosambik auf einen Schlag zu einer der größten Wirtschaftsmächte Afrikas machen. Die lokale Bevölkerung aber hatte von Anfang an Bedenken, ob auch sie von der Gasförderung profitieren wird.
In Mocimboa da Praia erbeuteten die Islamisten offenbar große Mengen Waffen. Die mosambikanische Armee erscheint zunehmend hilflos im Kampf gegen die Aufständischen. Immer wieder forderte die Regierung die Unterstützung von Söldner-Truppen an. Die der russischen "Gruppe Wagner" etwa, die das Land allerdings schon nach wenigen Monaten und ohne sichtbaren Erfolg wieder verließ.
Im Moment setzt Mosambik auf die Hilfe der Privatarmee eines simbabwischen Ex-Oberst. "Der Staat hat in der Region längst die Macht verloren, seine wichtigsten Aufgaben zu erfüllen. Nämlich seine Bürger zu schützen und seine Souveränität zu wahren", ist Adriano Nuvunga vom Mosambikanischen Zentrum für Demokratie und Entwicklung überzeugt. "Deshalb sprechen wir schon von der Irakisierung des nördlichen Mosambik."
Menschen stehen in Cabo Delgado für Lebensmittelpakete des WFP an.
Mosambiks Regierung schottet sich ab
Die Nachbarstaaten im südlichen Afrika sind zunehmend besorgt, dass die Terroristen ihre Angriffe über Mosambik hinaus ausdehnen könnten. "Südafrika nimmt das sehr ernst", sagt Ndumiso Ntshinga vom dortigen Außenministerium. "Prinzipiell ziehen wir aber Verhandlungen einem bewaffneten Einsatz vor."
Echtes Interesse an internationaler Aufmerksamkeit scheint die mosambikanische Regierung allerdings nicht zu haben. Die Einreiseanträge von Journalisten werden nicht bearbeitet - auch der des ARD-Studios Johannesburg liegt seit Jahren unbeantwortet im zuständigen Ministerium. Zahlreiche lokale Journalisten, die sich ins Krisengebiet wagten, wurden festgenommen und in manchen Fällen wochenlang festgehalten.
"Es gibt keine Sperre für Journalisten, die über den Kampf gegen die islamistischen Terroristen in der Nordprovinz Cabo Delgado berichten wollen", erklärte Mosambiks Präsident Felipe Nyusi Ende August dennoch. "Es gibt keine Verbote für die Medien."
Tatsächlich dürfte die Regierung vor allem fürchten, dass Journalisten den Blick auch auf das Vorgehen der mosambikanischen Armee richten. Amnesty International und Human Rights Watch berichten von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch Soldaten, von Hinrichtungen und Folter.