Nach dem Erdbeben in Marokko Hoffnung auf weitere Überlebende schwindet
Drei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko läuft die Zeit langsam ab: Die Wahrscheinlichkeit, noch Überlebende zu finden, wird immer geringer. Soldaten und Rettungsteams versuchen weiter, in die schwer zugänglichen Bergdörfer zu kommen.
Eine halbe Woche nach dem schweren Erdbeben in Marokko schwindet die Hoffnung, noch Überlebende zu finden. In den schwer zugänglichen Gebieten läuft die Suche nach Hunderten Vermissten weiter. Für die Einsatzkräfte ist es ein Wettlauf gegen die Zeit: Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch höchstens ohne Wasser auskommen kann.
Nach bisherigen amtlichen Angaben kamen landesweit mindestens 2.862 Menschen ums Leben. Wie das Innenministerium am Montagabend bekannt gab, wurden außerdem mindestens 2.562 Menschen verletzt. Das Erdbeben der Stärke 6,8 - das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko - ereignete sich am späten Freitagabend. Das Epizentrum lag südwestlich von Marrakesch. Seither wurde das nordafrikanische Land von weiteren Nachbeben heimgesucht.
Soldaten versuchen, in entlegene Bergdörfer vorzudringen
Soldaten versuchen, mit Unterstützung ausländischer Hilfsteams in entlegene Bergdörfer vorzudringen. Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Geröll befreit werden, damit Krankenwagen nach Erdrutschen durchkommen. Überlebende hofften verzweifelt auf Unterstützung bei der Suche nach vermissten Angehörigen, die unter den Trümmern vermutet wurden. Der Einsatzleiter eines britischen Hilfstrupps warnte im Sender BBC vor einem steigenden Risiko von Krankheiten, wenn sich die Hilfe weiter verzögere.
Die Behörden hätten mittlerweile Feldlazarette in der Nähe des Epizentrums eingerichtet, um dort Verletzte zu versorgen, sagte Justizminister Abdel Latif Wehbe dem arabischen Fernsehsender Al-Arabiya. Derzeit könne man die genaue Anzahl der Toten und Schäden nicht klären. Am Montag warfen Militärhubschrauber Hilfspakete über schwer zugänglichen Gebieten ab.
Internationale Hilfsangebote nicht alle angenommen
Die Europäische Union stellte eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereit. Das Geld solle helfen, die dringendsten Bedürfnisse der am stärksten Betroffenen zu decken. Zudem stehe die Kommission mit den EU-Staaten in Kontakt, um Einsatzteams zu mobilisieren, falls Marokko darum bitte, hieß es.
Frankreich unterstützt den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen (NGO) in dem Land mit fünf Millionen Euro. Deutschland bot Marokko erneut Hilfe an. Bislang zeigte die Regierung in Rabat daran jedoch kein Interesse. Marokko habe sich aber für das Angebot bedankt, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
Auf die Frage, ob der Verzicht auf deutsche Unterstützung womöglich politische Gründe haben könnte, antwortete er: "Ich glaube, politische Gründe kann man hier ausschließen für unseren Fall." Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut. Der Streit über die Westsahara hatte die deutsch-marokkanischen Beziehungen 2021 in eine Krise gestürzt.
Innenministerium rechtfertigt selektive Annahme von Hilfe
Großbritannien ist mit 60 Such- und Rettungsexperten samt Ausrüstungen sowie vier Suchhunden in Marokko, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen, wie der britische Botschafter Simon Martin auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) mitteilte. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden beteiligt sich an den Bergungseinsätzen.
Obwohl auch andere Länder, darunter eben Deutschland, Hilfe anboten, nahm Marokko bislang nur von vier Ländern Unterstützung an. Das Innenministerium hatte am späten Sonntagabend erklärt, die Behörden hätten eine genaue Bewertung der Bedürfnisse vor Ort vorgenommen. Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung in solchen Situationen zu nachteiligen Ergebnissen führe. Daher habe man zunächst "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert", hieß es in der Erklärung.
Die französische Hilfsorganisation "Secouristes sans frontières" (Retter ohne Grenzen), die auf die Bergung von unter Trümmern eingeschlossenen Menschen spezialisiert ist, zog inzwischen ein Angebot zurück, ein neunköpfiges Rettungsteam nach Marokko zu schicken, nachdem dieses ergebnislos auf grünes Licht für den Einsatz gewartet hatte. Gründer Arnaud Fraisse sagte der Nachrichtenagentur AP: "Unsere Rolle ist nicht, Leichen zu finden."
Regierung kündigt Hilfsfonds für die Bevölkerung an
Die Hilfsorganisation Care sagte, die Bevölkerung brauche neben humanitärer Hilfe nun auch vor allem psychologische Unterstützung. "Neben den enormen physischen Verwüstungen wiegt vor allem auch der emotionale Schaden, der von dem erlebten Grauen und der ausgestandenen Angst verursacht wurde, sehr schwer", erklärte Hlima Razkaoui, Generalsekretärin von Care Marokko.
Die Regierung in Marokko kündigte einen Sonderfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete die Nachrichtenseite "Hespress" unter Berufung auf einen Regierungssprecher. Zur Höhe des Hilfsfonds gab es zunächst keine Angaben.
Stärkstes Beben in Marokko seit 120 Jahren
Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa 300.000 Menschen von dem Beben der Stärke 6,8 betroffen waren, das durch seine relativ geringe Tiefe gefährlicher wurde. Wie aus den Daten der US-Erdbebenwarte USGS hervorging, handelte es sich um das stärkste Beben in dem Land seit mehr als 120 Jahren.
Am größten war die Zerstörung in der Provinz Marrakesch-Tensift-El Haouz im Atlasgebirge, wo die Häuser in sich zusammenfielen und die steilen Serpentinenstraßen mit Schutt verstopft waren. Teils räumten die Bewohner der Region Felsbrocken selbst beiseite.