Lage in Libyen "Es ist wichtig, positiv zu bleiben"
Libyen ist zerrissen in zwei Teile, Milizen kämpfen um die Macht, ohne diesen Kampf für sich entscheiden zu können. Umso mehr sehnen sich die Menschen im Land nach Frieden und versuchen, einen Rest von Normalität zu bewahren.
Amal Delawi wirbelt durch ihre Küche. Nach und nach füllt sie Datteln mit Nutella, tunkt diese in einen Topf voll flüssiger Schokolade und verziert sie dann mit Sahne und Streuseln: Fertig ist die Spezialität der selbstständigen Unternehmerin.
Mit dem Verkauf dieser Schokodatteln hat sich die 49-Jährige in ihrer libyschen Heimatstadt Tripolis einen Namen gemacht, sich erfolgreich etabliert in einer Geschäftswelt, die noch immer von Männern dominiert wird.
"Viele Männer tun sich schwer, mit einer Frau Geschäfte zu machen. Sobald ich als starke Persönlichkeit auftrete und versuche, den besten Preis und die beste Qualität zu bekommen, ist das für die Männer ein Schock."
Amal Delawi vermarktet ihre Schokodatteln von zuhause aus per Social Media. Ihre Tochter hilft ihr dabei.
Plötzlich können Schüsse fallen
Ihre Datteln vermarktet sie von zuhause aus per Social Media. Vor ein paar Jahren hatte sie noch einen eigenen kleinen Süßigkeitenladen in der Altstadt, musste diesen jedoch schließen wegen des Krieges.
An einem Tag sei es in der libyschen Hauptstadt ruhig, sonnig, wunderbar zum Spazierengehen, "am nächsten Tag fallen Schüsse, Milizen bekämpfen sich wegen etwas Dummen, mit dem wir nichts zu tun haben", erzählt Delawi.
Auf Gaddafi folgten kriegerische Auseinandersetzungen
Mitte Januar stand sie mitten in der Nacht kerzengerade im Bett. Von ihrem Schlafzimmer aus waren Schüsse zu hören, verfeindete Milizen kämpften am Flughafen von Tripolis. Die Unsicherheit ist längst Alltag geworden für die Menschen in Libyen. Seit 2011 ist das Land politisch instabil.
Nach dem Sturz von Langzeitherrscher Gaddafi hoffte Delawi wie so viele der knapp sieben Millionen Libyerinnen und Libyer auf mehr Freiheit und mehr Sicherheit. Doch es folgte ein Jahrzehnt voller kriegerischer Auseinandersetzungen innerhalb des Landes.
Das Land ist in Ost und West gespalten
Libyen ist gespalten in West und Ost. Im Westen, rund um Tripolis, regiert Premierminister Hamid Dbaibah. Auch der Osten hat einen Premierminister: Fathi Baschagha, hinter dem wiederum der mächtige General Chalifa Haftar steht. Beide, Dbaibah und Baschagha, erkennen den jeweils anderen nicht an, beide haben einflussreiche Verbündete im Ausland.
Dbaibah gilt als Ansprechpartner der meisten Länder der Europäischen Union, auch in Fragen der Migrations- und Energiepolitik. Ende Januar reiste die ultrarechte italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach Tripolis, unterzeichnete Abkommen über die Erschließung zweier Gasfelder und versprach fünf neue Schnellboote für die libysche Küstenwache, um Migranten bei der Überfahrt nach Europa abzufangen. Auch die Türkei und Katar gelten als enge Verbündete Dbaibahs.
Arabische Länder unterstützen Regierung im Osten
Die meisten Länder im arabischen Raum verweigern ihm jedoch die Unterstützung, weil er sich unter anderem nicht eindeutig von der Muslimbruderschaft distanziert. Als die Arabische Liga Ende Januar zu einem Treffen der Außenminister nach Tripolis einlud, erschienen nur fünf von 22.
Unter den Boykotteuren: die Regionalmächte Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, alle Gegenspieler der Muslimbrüder. Ihre Botschaft: Nach Tripolis fliegen wir nicht, unsere Unterstützung gilt der Regierung im Osten Libyens.
Milizen sichern die Machtverhältnisse
Die Machtverhältnisse in Ost und West sichern Milizen und ausländische Söldner. Laut Vereinten Nationen sind insgesamt rund 25.000 ausländische Söldner auf libyschem Boden im Einsatz. Die einen kämpfen für den Westen, meist finanziert von der Türkei.
Die anderen kämpfen für den Osten, viele beziehen ihr Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland. Da der libysche Staat jungen Libyern kaum Perspektiven bietet, schließen sich viele junge Leute den Milizen an.
"Wir in meiner Generation wagen es kaum noch, große Träume zu haben, eine Firma zu gründen oder ähnliches", sagt beispielsweise Ali Obeid, 24 Jahre alt. "Es ist schwierig, jahrelang zu studieren, und danach endest du doch ohne Arbeit. So kann man keine Zukunft planen."
Auch die Tochter von Amal Delawi hat trotz eines erfolgreichen Studienabschlusses keinen Job gefunden. Nun hilft sie ihrer Mutter gelegentlich bei Aufnahmen für Social Media, hält die Kamera und postet die Schokodatteln auf TikTok. Mutter und Tochter haben einen Wunsch: Sie wollen wählen.
Amal Delawi will für ihre Tochter Vorbild sein und zeigen, dass Erfolg auch in Krisenzeiten möglich ist.
Hoffnung auf Wahlen
Für 2021 waren nationale Präsidentschaftswahlen angekündigt, knapp drei Millionen Libyer hatten sich für die Wahl registriert. Doch Premierminister Dbaibah verschob die Wahl auf unbestimmte Zeit, auch weil sich die rivalisierenden politischen Lager nie einigen konnten, welche Kandidaten antreten dürfen.
Amal Delawi hofft, dass die Wahl in diesem Jahr nachgeholt werden kann: "Unser Ziel ist klar: Wir wollen ein geeintes Libyen. Und die Menschen müssen wählen. Es geht um unsere Rechte."
Schokodatteln als Business-Idee.
Es klingelt an ihrer Haustür. Ein Motorradkurier steht vor dem Haus, Delawi drückt ihm zehn Packungen voller Schokodatteln in die Hand. Er düst ab zum Kunden, sie lächelt. Es sei wichtig, positiv zu bleiben, meint sie. Ihrer Tochter will sie Vorbild sein und zeigen, dass Erfolg auch in Krisenzeiten möglich ist.