Fälle von Raub und Totschlag - Wieso Brandenburg mehrere dringend Tatverdächtige entlassen musste

Wer in U-Haft kommt, steht unter dem Verdacht einer schweren Straftat. Entsprechend groß ist das Aufklärungsinteresse. Trotzdem mussten 2024 sechs Tatverdächtige in Brandenburg entlassen werden. Von Amelie Ernst
Es geht unter anderem um Raub, Totschlag und Drogenhandel – die Delikte, die sechs nun entlassenen Tatverdächtigen vorgeworfen werden, sind schwerwiegend. Nach spätestens sechs Monaten in U-Haft muss in solchen Fällen das Hauptverfahren eröffnet sein. Eine Verlängerung verfüge das Oberlandesgericht nur in begründeten Fällen, bestätigt Jessica Hansen, Oberstaatsanwältin und Vorsitzende des Deutschen Richterbunds Brandenburg.
"Zum Teil sind die Verfahren auch einfach länger, weil die Ermittlungen länger dauern", sagt Hansen. Oft müssten Gutachten in Auftrag gegeben werden, beispielsweise zur Schuldfähigkeit der Tatverdächtigen. Oder es brauche forensische Gutachten. Auch die Sichtung von kinderpornographischem Material koste viel Zeit. Die Verfahren würden komplexer und damit langwieriger, so Hansen.
Viele neue Stellen - aber längst noch nicht alle besetzt
Brandenburg ist nicht das einzige Bundesland, das im vergangenen Jahr Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen musste, obwohl die Straftaten noch nicht geklärt waren: 15 Haftentlassungen wegen unvertretbar langer Verfahren waren es in Sachsen, 11 in Hessen und 7 in Schleswig-Holstein. Dahinter folgten die anderen Bundesländer. Auch er bedauere, dass es hier sechsmal dazu gekommen sei, sagt Brandenburgs Justizminister Benjamin Grimm (SPD). In jedem der Fälle gebe es unterschiedliche Gründe, die eine schnelle Anklage verhindert hätten. "Aber jeder Fall ist einer zu viel. Und wir werden in Zukunft versuchen, das zu vermeiden."
Dabei hat das Land in der vergangenen Legislaturperiode vergleichsweise viele neue Stellen für RichterInnen, StaatsanwältInnen und Justizmitarbeitende geschaffen, um die Aktenberge abzutragen: 207 neue Stellen allein an den Gerichten, darunter 85 für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Allerdings konnten längst noch nicht alle besetzt werden. Berlin sei für den juristischen Nachwuchs ein Magnet, sagt Jessica Hansen vom Richterbund. Dagegen seien kleinere Gerichte in der Fläche oft weniger attraktiv. Nur die Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften im Berliner Speckgürtel seien noch relativ leicht zu besetzen. Eine höhere Besoldung oder eine Zulage für die, die sich für eine Stelle weiter entfernt von Berlin entscheiden, könne helfen, so Hansen.
190.000 ordnungsgemäße Verfahren
Die unbesetzten Stellen sorgen mit dafür, dass nicht alle Strafsachen fristgerecht bearbeitet werden – bei steigenden Fallzahlen. Trotzdem hat Brandenburg aus Sicht von Justizminister Benjamin Grimm kein strukturelles Problem: "Wir haben nicht zu wenige Richterinnen und Richter oder Staatsanwältinnen und Staatsanwälte." Im Gegenteil: Man habe neben den genannten sechs im vergangenen Jahr auch 190.000 Ermittlungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. "Es sind bedauerliche Einzelfälle." Dennoch sei das Ziel, auch diese zu vermeiden, so Grimm.
Das fordert auch der Weiße Ring, der sich um die Opfer von Straftaten kümmert. Die vielen neuen Stellen in der Justiz seien richtig und wichtig, sagt die Weißer-Ring-Vorsitzende Barbara Richstein – selbst ehemals für die CDU Justizministerin in Brandenburg. Dennoch sei die vorzeitige Entlassung von Tatverdächtigen aus der U-Haft ein Problem. Sie verängstige die Opfer und könne sie auch retraumatisieren. "Das ist sehr misslich, dass das in Brandenburg passiert ist."
Opfer über Entlassungen informieren
Zumindest müssten die Opfer der Straftaten über die vorzeitigen Entlassungen automatisch informiert werden, fordern Richstein und der Weiße Ring. Und die Justiz müsse sich so aufstellen, dass Strafverfahren eine noch höhere Priorität erhielten. Schließlich könne die U-Haft unter Umständen auch verlängert werden. Jeder Einzelfall sei zu prüfen, so Richstein.
Dass es funktionieren kann, zeigen andere Bundesländer: In Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz gab es im vergangenen Jahr keine vorzeitigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft.
Sendung: Antenne Brandenburg, 6.3.2025, 16 Uhr