Fälle von Raub und Totschlag - Wieso Brandenburg mehrere dringend Tatverdächtige entlassen musste

Do 06.03.25 | 18:07 Uhr | Von Amelie Ernst
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Symbolbild: Ein Justizbeamter geht durch ein Untersuchungsgefängnisses am 08.02.2018. (Quelle: picture alliance/dpa/Christian Charisius)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.03.2025 | Amelie Ernst | Bild: picture alliance/dpa/Christian Charisius

Wer in U-Haft kommt, steht unter dem Verdacht einer schweren Straftat. Entsprechend groß ist das Aufklärungsinteresse. Trotzdem mussten 2024 sechs Tatverdächtige in Brandenburg entlassen werden. Von Amelie Ernst

Es geht unter anderem um Raub, Totschlag und Drogenhandel – die Delikte, die sechs nun entlassenen Tatverdächtigen vorgeworfen werden, sind schwerwiegend. Nach spätestens sechs Monaten in U-Haft muss in solchen Fällen das Hauptverfahren eröffnet sein. Eine Verlängerung verfüge das Oberlandesgericht nur in begründeten Fällen, bestätigt Jessica Hansen, Oberstaatsanwältin und Vorsitzende des Deutschen Richterbunds Brandenburg.

"Zum Teil sind die Verfahren auch einfach länger, weil die Ermittlungen länger dauern", sagt Hansen. Oft müssten Gutachten in Auftrag gegeben werden, beispielsweise zur Schuldfähigkeit der Tatverdächtigen. Oder es brauche forensische Gutachten. Auch die Sichtung von kinderpornographischem Material koste viel Zeit. Die Verfahren würden komplexer und damit langwieriger, so Hansen.

Viele neue Stellen - aber längst noch nicht alle besetzt

Brandenburg ist nicht das einzige Bundesland, das im vergangenen Jahr Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen musste, obwohl die Straftaten noch nicht geklärt waren: 15 Haftentlassungen wegen unvertretbar langer Verfahren waren es in Sachsen, 11 in Hessen und 7 in Schleswig-Holstein. Dahinter folgten die anderen Bundesländer. Auch er bedauere, dass es hier sechsmal dazu gekommen sei, sagt Brandenburgs Justizminister Benjamin Grimm (SPD). In jedem der Fälle gebe es unterschiedliche Gründe, die eine schnelle Anklage verhindert hätten. "Aber jeder Fall ist einer zu viel. Und wir werden in Zukunft versuchen, das zu vermeiden."

Dabei hat das Land in der vergangenen Legislaturperiode vergleichsweise viele neue Stellen für RichterInnen, StaatsanwältInnen und Justizmitarbeitende geschaffen, um die Aktenberge abzutragen: 207 neue Stellen allein an den Gerichten, darunter 85 für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Allerdings konnten längst noch nicht alle besetzt werden. Berlin sei für den juristischen Nachwuchs ein Magnet, sagt Jessica Hansen vom Richterbund. Dagegen seien kleinere Gerichte in der Fläche oft weniger attraktiv. Nur die Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften im Berliner Speckgürtel seien noch relativ leicht zu besetzen. Eine höhere Besoldung oder eine Zulage für die, die sich für eine Stelle weiter entfernt von Berlin entscheiden, könne helfen, so Hansen.

Aber jeder Fall ist einer zu viel. Und wir werden in Zukunft versuchen, das zu vermeiden.

Brandenburgs Justizminister Benjamin Grimm (SPD)

190.000 ordnungsgemäße Verfahren

Die unbesetzten Stellen sorgen mit dafür, dass nicht alle Strafsachen fristgerecht bearbeitet werden – bei steigenden Fallzahlen. Trotzdem hat Brandenburg aus Sicht von Justizminister Benjamin Grimm kein strukturelles Problem: "Wir haben nicht zu wenige Richterinnen und Richter oder Staatsanwältinnen und Staatsanwälte." Im Gegenteil: Man habe neben den genannten sechs im vergangenen Jahr auch 190.000 Ermittlungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. "Es sind bedauerliche Einzelfälle." Dennoch sei das Ziel, auch diese zu vermeiden, so Grimm.

Das fordert auch der Weiße Ring, der sich um die Opfer von Straftaten kümmert. Die vielen neuen Stellen in der Justiz seien richtig und wichtig, sagt die Weißer-Ring-Vorsitzende Barbara Richstein – selbst ehemals für die CDU Justizministerin in Brandenburg. Dennoch sei die vorzeitige Entlassung von Tatverdächtigen aus der U-Haft ein Problem. Sie verängstige die Opfer und könne sie auch retraumatisieren. "Das ist sehr misslich, dass das in Brandenburg passiert ist."

Opfer über Entlassungen informieren

Zumindest müssten die Opfer der Straftaten über die vorzeitigen Entlassungen automatisch informiert werden, fordern Richstein und der Weiße Ring. Und die Justiz müsse sich so aufstellen, dass Strafverfahren eine noch höhere Priorität erhielten. Schließlich könne die U-Haft unter Umständen auch verlängert werden. Jeder Einzelfall sei zu prüfen, so Richstein.

Dass es funktionieren kann, zeigen andere Bundesländer: In Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz gab es im vergangenen Jahr keine vorzeitigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft.

Sendung: Antenne Brandenburg, 6.3.2025, 16 Uhr

Beitrag von Amelie Ernst

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14 Kommentare

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  1. 14.

    Gerade mal so eben mit dem blauen Auge davon gekommen das die AfD nicht in Brandenburg übernommen hat, und gleich geht es wieder los den Rechten eine Steilvorlage nach der nächsten zu liefern. Habt ihr in Brandenburg eigentlich gar nichts begriffen? Jeder Einzelfall und der noch bagatellisiert ist schon wieder ein Fest für die AfD. Genau dieses Verhalten zeichnet seit 30 Jahren Politik aus, was interessiert uns das Geschwätz von gestern. Hauptsache lustig und die Haare liegen!

  2. 13.

    Traurig aber war warum werden Verbrecher freigelassen? Schmeißt die Leute raus die wegen Unterhalt scharzfahen oder geldstrafen sitzen die haben nach meiner Meinung dort nichts verloren Dan wahre genung Zeit sich um die schweren straftater zu kümmern als so eine schow zu veranstalten

  3. 12.

    Der Passus Schaden vom Deutschen Volk abzuhalten, sollte bei den Verantwortlichen bei der Vereidigung abgeschafft werden, oder man sollte die Anzeigen. Unverantwortlich wie lapidar mit der Sicherheit der Bevölkerung umgegangen wird. Seit Jahren wird darüber geklagt das es personell nicht mehr zu schaffen ist. Wie gleichgültig muss man sein, Schwerverbrecher wieder auf die Menschheit los zulassen, weil man lieber eine Brücke ins Nirvana baut wie in die Justiz zu investieren?

  4. 11.

    „Die Schwachstelle, auf die bspw. der Weiße Ring hinweist, betreffen die komplizierteren Fälle, bei denen ein Nachhang besteht, was allerdings erhebliche Konsequenzen für vergangene oder potenzielle Opfer hat. Darauf sollte sich die Diskussion konzentrieren. “
    Das ist es ja gerade. Das geschieht einfach nicht. Täterjustiz hat die Opferfamilien nicht ausreichend im Blick. Ihre „komplizierten Fälle“ sind wirklich kompliziert? Oder „tanzen da Täter uns auf der Nase rum“? Bei „Parkverstößen“ wird auch sehr aufwendig der Wohn- u. Aufenthaltsort ermittelt, wenn dieser verschleiert wird. Dann schlägt die gesamte Härte der Justiz zu. So fühlt es sich an.

  5. 10.

    So ist es, jedoch sind die hochbezahlten Beamten der Justiz und Ermittlungsbehörden ja so überlastet dass sie es wohl einfach schleifen lassen. Wen kümmerts ? Ich bin selbst Betroffene, und warte seit vielen Jahren auf den Verhandlungsbeginn eines Mehrfachmörders aus MOL. Dem geht’s gut, lebt vom Bürgergeld in seinem Haus, kann munter weiter machen und lacht die Behörden nur aus.

  6. 9.

    190000 ordnungsgemäß durchgeführte Verfahren? Wie viele davon wurden ohne Ermittlungen zu veranlassen eingestellt? Lächerlich !

  7. 8.

    Wenn die derzeitige Dauer der U-Haft nicht ausreichend ist, weil die Gerichte überlastet sind, müssen die Grundlagen geschaffen werden, diese Zeit auf 9 oder 12 Monate verlängern. Wer da drin sitzt, wartet nicht umsonst auf eine Verhandlung. Bei Entlassung können sich die Betroffenen bequem absetzen, Opfer und Zeugen bedrohen. Nach meinem Empfinden werden hier wieder mal die Täter besser behandelt als die Opfer.

  8. 7.

    Die Versäumnisse, was das Zustellen von Gehwegen und das Hindern zu Fuß Gehender, mit dem Rollstuhl Fahrender und radfahrender Kinder auf Gehwegen ist in jedem Wohngebiet offensichtlich. Von daher kann von einem Ahndungsdruck nicht die Rede sein, vielmehr von einer Verhaltensweise, die aufgrund ihres massenhaften, nichtgeahndeten Praktizierens zum Normalfall geworden ist. Nach wie vor.

    Bei den hier zur Debatte stehenden Vergehen sieht es dagegen anders aus. Die Schwachstelle, auf die bspw. der Weiße Ring hinweist, betreffen die komplizierteren Fälle, bei denen ein Nachhang besteht, was allerdings erhebliche Konsequenzen für vergangene oder potenzielle Opfer hat. Darauf sollte sich die Diskussion konzentrieren.

    @ Oje
    "- suchen reicht nicht."

    Eine Festnahme, ohne vorher gesucht zu haben, kann nur bedeuten, in Breite Bürger unter Generalverdacht zu stellen und bei dem das Raster dann "anspringt", tritt dann der Erfolg ein.

  9. 6.

    Das kann doch alles nicht wahr sein . Was sind das , über Jahre,, für Zustände in Brandenburg, funktioniert hier überhaupt noch irgendetwas. Da bleibt Jeder/Jedem nur die Hoffnung einem freilaufenden Mörder nicht in die Hände zu fallen. Danke dafür dass diese unfassbaren Zustände die Bevölkerung weiter spaltet. Danke für Ihre sanften Worte Herr Justizministers , dass Schwerstverbrevher wie Mörder , nichts zu befürchten haben.

  10. 5.

    Richtig, da werden hausdurchsuchungen wegen memes gemacht oder Leute die eine schnapsidee haben und angeblich lauterbach entführen wollen zu mehrjährigen Haftstrafen verdonnert, aber schwerstkriminellen, mördern und Vergewaltigern passiert gefühlt nix.
    Der Rechtsstaat Kompass stimmt nicht mehr.

  11. 4.

    „Parkverstoßverfolgung“ hat eine höhere Priorität? Da werden keine Fristen versäumt...
    Aber zurück zum Thema und etwas Wichtigem: Der weiße Ring weist zu recht auf die Opfer von Straftaten hin. Haben die keine oder mehr Empathie verdient? Ganze Familien leiden...

  12. 2.

    Ggf. widersprechen Sie sich - aus welchen Motiven auch immer - doch selbst: Wenn es Schwerstkriminelle sind, wie Sie schreiben, ließe sich unverzüglich ein Nachweis über zumindest eine dieser unendlichen Taten führen; somit schieden langwierige psychologische Gutachten, die Abgrenzungsprobleme gegenüber anderen Aspekten ausräumten, aus.

    Soll hier ein Pappkamerad "aufgebaut" werden, ggf. um Angst zu verbreiten?

  13. 1.

    Immerhin in 4 von 16 Bundesländern gab es keine vorzeitigen Entlassungen. Wenn man auf der anderen Seite sieht, dass mehr als 40.000 Schwerstkriminelle per Haftbefehl gesucht werden können die Behörden froh sein, dass sie noch nicht verhaftet sind.